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  #811  
Alt 05.10.2006, 06:08
Wolke Wolke ist offline
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Guten Morgen allerseits,

ich hoffe du startest in einen weniger ärgerlichen Tag Andrea.

Ich bin etwas verwirrt Mein Vater hat mir gestern erzählt, dass er auf drängen eines Freundes eine Anzeige aufgegeben hat. Er hat sich nun schon mit den in Frage kommenden Damen getroffen und zwei davon sind noch im Rennen. Ich freue mich ja, wenn er wieder jemanden hat, aber doch kommt sofort ein Anspruchsdenken bei mir auf. Schrecklich. Nun also abwarten und Tee trinken und gucken wie es sich entwickelt und welche von beiden "das Rennen" machen wird.

Ich wünsche euch allerseits einen schönen und erträglichen Tag.

Wolke
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  #812  
Alt 05.10.2006, 09:12
Andrina Andrina ist offline
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Hallo zusammen

Was ich eigentlich noch hier im Forum will und mache, habe ich mir auch schon oft überlegt! Lesen tue ich sehr oft, aber das Schreiben wird immer weniger... im BSDK-Forum bin ich nicht fähig zu schreiben und hier im Hinterbliebenenforum fehlen mir oft die Worte! Vieles wurde bereits gesagt und ich merke auch, dass meine Trauer sich verändert hat, insgesamt etwas leiser geworden ist und ich nicht mehr so das Bedürfnis habe alles herauszulassen, sondern diese Trauer und diesen Schmerz immer mehr mit mir ganz alleine ausmachen möchte! Das Thema Krebs und alles was damit zusammen hängt, beschäftigt mich aber immer noch zu sehr, als dass ich alles hinter mir lassen könnte, so als hätte es das alles nicht gegeben! Ich weiss nicht, ob ich das jemals kann oder möchte? Ich verstehe aber voll und ganz, dass es für einige von euch Zeit wird einen Schritt weiterzugehen und ich kann mir gut vorstellen, dass all dieses Leid hier für gewisse Leute wirklich nicht mehr zu ertragen ist und einem daran hindert das neue Leben anzupacken! Auch wenn es natürlich schade ist...

Liebe Beate, ich wünsche dir alles erdenklich Gute auf deinem weiteren Weg und ich freue mich sehr, dass du vom "wir" zum "ich" gefunden hast und das in Zukunft auch leben möchtest!

Andrea, im Moment scheint wirklich nicht deine Zeit zu sein... Hochzeitstag, Jahrestag, die "Dummkuh", eine Welt voller nerviger Leute, ...! Aber glaub mir, und ich weiss, dass du es auch selber weisst, sie kommt wieder, deine Zeit!

Wolke, ich finde es ganz schrecklich was dein Vater macht! Keine Ahnung was ich darüber denken würde, wenn meine Mami das machen würde? ICH würde das nicht wollen, aber IHR würde ich jemand neues gönnen, von ganzem Herzem! Nicht ganz einfach die Situation... das Kind und der Erwachsene müssen vereint werden und einen Weg finden mit den verschiedenen Gedanken und Wünsche umzugehen!

Ganz liebe Grüsse und kommt gut durch den Tag!
Andrina
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  #813  
Alt 05.10.2006, 13:00
Wolke Wolke ist offline
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Andrina, ich finde es nicht schrecklich, weil es mich in einer gewissen Art und Weise auch entlastet. So brauche ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mal keine Zeit habe, weil ich weiß, er hat jemanden an seiner Seite. Das einzige was schrecklich sein kann ist die Frau. Wenn sie aber akzeptiert, dass er meine Mutter im Herzen trägt und dass die Wohnung die Spuren meiner Mutter zeigt, dann ist es okay. Soll er lieber alleine alt werden und einsam sein?
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  #814  
Alt 05.10.2006, 14:14
Andrina Andrina ist offline
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Hallo Wolke

Das ist eben das was ich gemeint habe! Natürlich soll er nicht alleine alt werden, das wünsche ich mir auch nicht für meine Mami... ganz im Gegenteil! Ich wünsche mir für SIE, dass sie irgendwann wieder mal jemanden trifft und mit diesem Menschen durchs Leben gehen kann, aber für MICH wünsche ich mir das nicht! Verstehst du? Es wäre toll, wenn dein Vater jemanden trifft, der akzeptiert was vorher war und dass deine Mutter für immer einen Platz in seinem Herzen hat! Meine Schwester ist nach dem Tod meines Papis wieder nach Hause gezogen und ich bin darüber sehr froh! Sie hat momentan keinen Freund und hat nur 5 Fahrminuten weit weg gewohnt... da hat es sich aus vielerlei Gründen angeboten! Ich bin sozusagen bereits entlastet! Aber irgendwann wird sich das auch ändern und dann ist meine Mami alleine in dieser Wohnung und was dann sein wird, weiss ich auch nicht! Aber wie gesagt, im Moment hätte ich grosse Mühe damit... mein Papi ist noch immer so präsent, dass ich es fast nicht ertragen könnte, aber es ist bei uns auch erst ein halbes Jahr her! In meiner Seele zu kurz um an jemand anderes an ihrer Seite zu denken!

Liebe Grüsse,
Andrina
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  #815  
Alt 05.10.2006, 14:21
Wolke Wolke ist offline
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Gut, mein Vater ist in die Offensive gegangen, aber ich finde es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Angenommen deine Mutter hätte schon nach drei Monaten einen neuen Partner gefunden, dann wäre es halt so. Soll sie ihn wegstoßen und sagen komm in einem Jahr nochmal wieder? Den richtigen Zeitpunkt gibt es in meinen Augen nur so, dass es schon richtig ist, wenn die richtige Frau dabei ist.

Ich weiß auch, dass meine Ma mal gesagt hat (da war noch nicht an Krebs etc zu denken), dass er sich dann ne andere Suchen soll. Vielleicht hat sie ihm ja einen Schubs gegeben? Bei uns ist es nun ein Jahr her und er trauert auch noch immer um sie. Aber ich denke auch, wenn man über Jahre dann alleine ist und sich so in seinem Leben eingerichtet hat, dann wird es für einen Partner schwer da rein zu kommen. Noch ist er gesund und fit und kann vielleicht mit einer Partnerin noch ein paar schöne Dinge unternehmen.

Das alles für mich aber immer unter dem Aspekt, dass sie die Spuren nicht verdrängt und auch nicht morgen bei ihm einzieht. Aber soweit ist es noch lange nicht.
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  #816  
Alt 05.10.2006, 14:34
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AndreaS AndreaS ist offline
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Liebe Andrina,

du hattest es mir aus deiner Sicht erklärt vor einiger Zeit und ich glaube, ich habe es auch verstanden.

Ich kann die Gefühle und Sorgen verstehen, das alte Bild der Zweisamkeit soll nicht durch Neues ersetzt werden. Wobei die Vokabel ersetzt sowieso schon eine ganz verkehrte ist.

So wie die Beziehung zwischen Claus und mir war und sie - so wie du erzählt hast - zwischen deiner Mama und deinem Papa war, wird überhaupt nur jemand eine Chance haben, der keine Probleme damit hat, dass ein Platz im Herzen immer für den geliebten verstorbenen Partner reserviert ist. Es kann nur jemand an der Seite mit uns weitergehen, der versteht, dass die Liebe zu unserem Partner nicht einfach verschwunden ist. Und der, der das versteht, wird deinem Papa nichts wegnehmen, er wird euch euren Schmerz und eure schönen Erinnerungen nicht nehmen wollen, wird es akzeptieren und damit leben lernen.

Es ist nichts mehr wie es einmal war, für mich nicht, für deine Mutter nicht, wir müssen ungefragt neue Wege gehen. Wenn auf diesem Weg ein neuer Partner mit all dem o.g. Verständnis für die Vergangenheit, die immer auch die Gegenwart begleiten wird, bereit ist, sich darauf einzulassen, wird es auch für dich ok sein. Dann wirst du hoffentlich sehen, dass das Lachen deiner Mama zurückkommt, dass sie wieder Pläne schmiedet und auch wieder glücklich ist. Aber wenn du ihr in die Augen siehst, erkennst du, dass trotz der neuen Lebensfreude der Schmerz bleibt um das, was ihr alle verloren habt.

Du hast nur diesen einen Vater in deinem Leben und deine Mama hatte nur diesen einen Mann in ihrem Leben, der ihren Kindern Vater werden sollte.

Ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen, das Beste daraus zu machen, von allen Beteiligten, um ihn auch wieder lebenswert werden zu lassen, ich denke, das ist eine schwierige Aufgabe, die nur mit gegenseitigem Verständnis und der Liebe zueinander zu lösen ist.

LG
Andrea
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  #817  
Alt 05.10.2006, 16:46
Andrina Andrina ist offline
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Ich glaube du hast Recht Wolke, wahrscheinlich gibt es nie einen "richtigen" Zeitpunkt, so wie es für viele andere Dinge auch keinen "richtigen" Zeitpunkt gibt, aber ich für meinen Teil kann das noch nicht so sehen. Ich denke, du bist in dieser Hinsicht eifach viel weiter als ich! Deine Beiträge wecken in mir das Gefühl, dass du dich angegriffen fühlst oder glaubst dich rechtfertigen zu müssen! Das musst du natürlich auf keinen Fall! Ich denke, ich habe es in meinem ersten Beitrag etwas hart ausgedrückt, aber wie gesagt, dass ist nicht das was ich meinte! Ich urteile und verurteile nicht, ich habe nur "meinen Senf" dazugegeben! Mein Papi hat meiner Mami auch gesagt, dass sie sich einen neuen suchen soll und eigentlich ist das ja wirlich vernünftig! Wer will schon mit 52 für den Rest seines Lebens alleine bleiben? Und auch wenn ich Andrea's weise Worte lese und sehe, dass auch mit einem neuen jemand nicht von heute auf morgen alles wieder "Friede, Freude, Eierkuchen" ist, wird mir klar, dass meine schwarz-weiss-Sicht zu diesem Thema sehr kindisch ist! Aber genau dieses Kind in mir ist es ja, das sagt, dass es schon genug Veränderungen gegeben hat und es keine neue mehr will! Es will einfach nicht! Zumindest jetzt nicht! Aber ich werde daran arbeiten!

Ganz liebe Grüsse an euch, Woke und Andrea, und einen schönen Abend!
Andrina
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  #818  
Alt 06.10.2006, 06:30
Wolke Wolke ist offline
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Das klingt sehr schön und sehr positiv. Ich hoffe es gelingt dir Heide.

Andrina, vielleicht sind diese Ängste die wir Kinder vor einem neuen Partner unseres Elternteils haben auch ein Stück egoismus?

Ich meine es zwar alles so wie ich es geschrieben hab, aber ob ich das auch alles so fühlen kann? Wenn ich sie dann mal kennenlerne? Wenn sie meinen Vater (für mich sichtbar) zum ersten mal küsst. Wenn sie vielleicht auf dem Sofa genau dort hockt, wo meine Ma es immer tat. Das wird bestimmt alles nicht leicht werden. Aber für meinen Vater ist diese Entscheidung sicher auch nicht leicht. Ich hoffe einfach er wird nochmal glücklich werden. Aber anders glücklich als mit meiner Ma

Wolke
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  #819  
Alt 08.10.2006, 09:15
SylviaW SylviaW ist offline
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Liebe Andrea,

ich drücke dich mal ganz fest an diesem schweren Tag.

2 Jahre hast du geschafft und ich muß sagen, du hast es gut gemacht. Du bist eine tolle Mutter, hast hier im Stammtisch für jeden ein offenes Ohr und ganz bestimmt bist du eine super Freundin.

Dein Eintrag in deinem anderen Thread hat mich sehr berührt und dafür danke ich dir.

GGLG
Sylvia

Geändert von SylviaW (08.10.2006 um 09:59 Uhr)
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  #820  
Alt 11.10.2006, 08:39
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AndreaS AndreaS ist offline
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Guten Morgen, Ihr Lieben,

das Wochenende ist vorbei, die Empfindungen hallen nach.

Der gefürchtete Tag, mal wieder im Vorfeld schlimmer. Er hat sich gut angefühlt, richtig. Menschen um mich, die mir unendlich viel bedeuten. Und nur und ausschließlich diese. Keine Kompromisse, nicht an diesem Tag und wo immer es möglich ist auch in Zukunft nicht.

Viele liebe Zeilen haben mich erreicht. Worte, die gut tun, Mut machen, den Weg, den ich für mich gewählt habe so und nicht anders weiterzugehen.

@Bruni, habe gestern in der Wanne gelegen, mit dem Disc- Man bewaffnet und habe gelauscht. Konnte nicht aufhören, habe gestaunt, habe geantwortet, habe geweint und bitter gegrinst. Ja, so ist es, so und nicht anders. Ist das wirklich so schwer zu verstehen? "Sei lieb zu deiner Trauer" einfach genial dieser Satz! Ja Brunilein, auch ich werde es wohl nochmal anhören, bestimmt fallen mir beim nächsten Mal noch andere Wahrheiten auf...

Kommt gut durch den Tag und lasst euch nicht ärgern, von niemandem!

LG
Andrea, schrecklich viel Arbeit
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  #821  
Alt 11.10.2006, 10:46
Wolke Wolke ist offline
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Erschlag mit der Arbeit das Trauertier und die Dummkuh
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  #822  
Alt 11.10.2006, 10:53
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AndreaS AndreaS ist offline
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Zitat:
Erschlag mit der Arbeit das Trauertier und die Dummkuh


hatte ja schon Bestellungen beim Universum aufgegeben: Frau DK ist beim Zahnarzt mit viel Glück wirkt die Betäubung bis nach Feierabend
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  #823  
Alt 11.10.2006, 13:34
Wolke Wolke ist offline
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Na geht doch. Dann einen geruhsamen Arbeitstag
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  #824  
Alt 11.10.2006, 20:33
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AndreaS AndreaS ist offline
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Bin im Augenblick noch ein wenig am Innehalten, am Zurückblicken, insbesondere auf den Weg meiner Trauer.

In einem Ordner habe ich die Briefe an Claus gesammelt, aber auch Sprüche und Geschichten, die ich in den letzten zwei Jahren gefunden und aufbewahrt habe.

Diese eine hier gefällt mir nach wie vor sehr gut, dachte auch ich hätte sie hier im Forum gefunden, weiß es aber nicht mehr genau, aber selbst wenn der ein oder andere sie schon kennt, ich denke, sie ist immer wieder ein wenig Innehalten wert:

Puzzleteile

Ich habe sie lange vor mir her geschoben, die Suche nach mir selbst.

Jetzt wo ich mich auf sie begebe, merke ich, wie wichtig sie ist. Doch wo kann ich sie finden? In mir selbst. Also gehe ich in mich selbst hinein, in meine Seele und finde dort hinter Spinnweben eine Kiste mit meinem Namen drauf.

Ich hole sie hervor, wische den Staub der Jahre weg und öffne zaghaft den Deckel. Er knirscht ein wenig. Ich werfe einen Blick in die Kiste und sehe tausende von Puzzleteilen wild durcheinander geworfen.

Ich setze mich hin und kippe die Kiste aus.

Da liegen sie nun, die Teile aus denen ich bestehe. Ich habe schon lange nicht mehr gepuzzelt. Als Kind habe ich fast immer zuerst den Rahmen zusammengesetzt, das war am einfachsten.

Also suche ich die Teile mit einer geraden Seite und stelle fest, dass es keine gibt. Klar, ein Rahmen bedeutet Abschluss, eine Grenze, er lässt keine Erweiterungen zu.

Ich gebe meine Suche auf und versuche Teile nach Ähnlichkeit zu sortieren, was auch nicht so recht gelingen will, denn keines ist dem anderen gleich und zusammenfügen lassen sie sich auch nicht nach diesem Schema. Das wird schwerer als ich dachte. Ich muss langsam vorgehen, Stück für Stück probieren und begreifen.

Ich schließe meine Augen und greife nach einem Puzzleteil. Es war warm und weich zwischen meinen Fingern, es fühlt sich gut an. Es ist meine Fröhlichkeit, tausend ewig währende Augenblicke in einem winzigen Teil. Ich lächle und lege es ab.

Das nächste Teil ist kratzig und hart, die Oberfläche gleicht einem rauen Stein. Es ist ein Stück der Mauer, die ich um mich herum aufgebaut habe. Schnell lege ich dieses Teil aus der Hand und nehme mir vor, die Mauer mit der Zeit ganz einzureißen. So greife ich Puzzleteil für Puzzleteil und wie von selbst fügen sie sich zusammen.

Das Teilchen Mut ist stark und unzerbrechlich, das Teilchen Angst besteht aus Zweifel, ist dunkel und mächtig. Gleich daneben passt das Teilchen Schmerz aus dem Salz der Tränen. Das Teil der Leidenschaft glüht noch in meinen Händen und ruft ein Kribbeln hervor. Am vielfältigsten sind die Puzzleteile meiner Gedanken. Sie weisen vom tiefsten Schwarz bis zum strahlenden Weiß alle Farbmöglichkeiten und Variationen in der Beschaffenheit auf.

Ich begegne Teilen meine Fähigkeit und stelle fest, dass es nicht wenige sind. Es gibt auch Teile aus Wunden, manche mit einer Narbenschicht überzogen. Die Wunden schmerzen und die Narben sind hässlich und hart und doch gehören sie genauso zu mir, wie das klingende Teilchen meines Lachens. Das Teilchen Stolz ist hart und glatt, alles prellt an ihm ab, es ist unbiegsam und lässt sich schwer einfügen.

Dann halte ich das Teilchen Liebe in meinen Händen. Es ist von stetiger Veränderung und doch in sich gleich bleibend, es beinhaltet unzählige Bilder und ... - es ist wunderschön.

Danach kommt, was kommen muss, der Hass. Gewaltig und laut nimmt er Besitz von mir. Und auch wenn ich ihn nicht mag, so muss ich doch zugeben, dass er mir Kraft verleiht.

Ich entdecke Puzzleteile mit Fingerabdrücken und sehe die Menschen vor mir, die sie hinterlassen haben, Erziehung und Freundschaft haben mich geprägt. Die Puzzleteile meiner Träume und Wünsche sind durchzogen von Freuden und Ängsten, sie verlangen Mut und versprechen gar nichts und doch alles. Ich halte sie lange in der Hand ehe ich sie dem Puzzle zufüge.

Übrig bleiben jetzt noch ein paar dunkle Teilchen, von denen ich nicht weiß, was sie bedeuten, wie sie entstanden. Ich nenne sie Verdrängung und fülle mit ihnen die Lücken im Puzzle aus. Eines Tages werde ich sie begreifen.

Da liegt es nun vor mir, dieses eigenartige Puzzle. Das also bin ich, hier und jetzt. Ich habe etwas mehr begriffen, wer ich bin, sehe Horizonte und keine Grenzen ...
... immer noch erweiterungsfähig

(Verfasser mir unbekannt)


LG
Andrea
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  #825  
Alt 15.10.2006, 07:50
Blue Blue ist offline
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Meine Schwägerin wird am Montag 50 Jahre alt. Keine Ahnung welches Teufelchen in mir war, um das zu machen.

Ich hab eine CD zusammengestellt. Eigentlich jedes Lied eine einzigartige Liebeserklärung. Nein, ich werde sie ihr nicht schenken, ich hab es für ihren Mann gemacht. Jetzt sitze ich da, hör mir die Lieder an. 50? Was jetzt schon? – What a lucky man you are – Sommermorgen – Herbstgewitter – ich liebe Dich. Reinhard Mey. Ist für mich traurig schön geworden. Irgendwie würde ich wohl so eine CD an meinem 50 Geburtstag bekommen wollen. Nur eben mit Lieder die für mich etwas Besonderes sind, unsere Lieder, aber Lucky man wäre dabei. Na gut, ist ja noch ein bißchen hin.

So sitze ich da, wie oft habe ich das Ding jetzt gehört? Sehr oft, zu oft. Jetzt lieber Rosenstolz?

Meine Schwägerin. Wie ist sie so? Ich kannte sie nicht, muß ich wirklich gestehen, kannte sie sehr lange nicht. Ich denke sie wirkt auf andere reserviert, doch, ich denke das ist das richtige Wort. Ihre Augen sind den Augen von Jürgen sehr, sehr ähnlich. Ich hab lange keinen Draht zu ihr gefunden, sehr lange nicht. Wann fing es an besser zu werden? Ja, als meine Schwiegermutter starb, so überraschend, 30.12.2002. Auf einmal gab es Dinge zu besprechen, auf einmal kam die Seele mit. Auf einmal waren Gefühle da. Wir haben geweint, wir haben gelacht, wir haben geschumpfen.

Dann Mai 2004. Fortschreiten der Krankheit bei Jürgen. Bestrahlung? Was? Wie kann das sein? Ab diesem Zeitpunkt war sie jede Woche da. Obwohl ich Jürgen immer fahren wollte - wohin auch immer – fuhr ich ihn das letzte Mal nicht in die Biomed. Nein, Angelika machte das. Und sie brachte ihn mir auch wieder zurück.

2003/2004 war sehr schwer auszuhalten. So viel Hoffnung, soviel versucht – nichts hat geholfen. Der Herbst in seinem Leben und wir wussten es nicht. Der letzte Herbst? Gefüllt mit Hektik, viele Enttäuschungen, daß so gar nichts greifen wollte. Und doch, immer wieder Hoffnung, weiter machen, immer weiter. Selbstbetrug?

Der große Anfall am 01.01.2005 und mein dumpfes Gefühl im Bauch. Ich rannte damals wirklich im Viereck. Verdammt nochmal es kann nicht sein!

März 2005 die Erkenntnis, ja, es ist unser letzter Weg und Angelika war fest an meiner Seite, wie auch meine Süße, ja, ich hab die Hand gespürt, jeden Tag aufs Neue. Angelika hat mich bestärkt, hat Zweifel genommen. Vielleicht doch die Chemo, obwohl ein Anschlagen der Therapie doch nur unter 20 % lagen? Patentenverfügung –ein sehr ehrlicher Arzt. Ich habe anders entschieden und war lange am Hadern damit. Und doch, es war richtig so. Keine Therapie wenn keine Aussicht auf Besserung besteht. Ich hab mich dran gehalten, Angelika hat es unzählige Mal mit mir auseinander genommen.

Klar wir bekamen uns mal in die Wolle – wie sollte es auch anders sein mit mir. Sie wollte von mir hören, daß sie ruhig in den Urlaub fahren kann – ich konnte es ihr nicht sagen. Sie fuhr nicht in den Urlaub, zum Glück, denn die erste Nachtwache wäre in den Zeitraum gefallen. Sie war jede 2. Nacht hier und wir haben uns die Nacht aufgeteilt.

Nie habe ich erlebt, daß ihr Mann, Jörg, einfach mal so vorbei gekommen ist. Er kam, nahm mich in die Arme, so wie er es heute noch macht. Heute quietsche ich manchmal, damals habe ich nur ganz still gehalten. Jetzt lauert er mir manchmal nach der Arbeit auf. Lacht mich an und streckt seine Arme aus. Ich stell meine Tasche hin, renn los, laß mich auffangen.

Angelika rückte immer mit dem Einkaufskorb an, sonst wäre ich vielleicht tatsächlich verhungert. Und wau, ich hab abenteuerliche Zusammenstellungen gegessen und immer war Schokolade dabei. In der Zeit hörte ich nie, daß ich viel zu viel rauche. Es war Vertrauen pur!

Beide waren dabei als Jürgen mich alleine ließ. Beide haben auf mich gewirkt wie eine Festung die nicht einzureißen war. Sie schauten mich an, als ich wollte, daß sie rausgehen, solange Jürgen gewaschen wird – so wie immer eben. Ich war verzweifelt, weil ich Jürgen nicht mehr knuddeln konnte, wie ich es sonst immer machte. Jörg sagt, das macht doch nix.

Eine Frage von Jörg: Was denkst du? Meine Antwort: Und jetzt? Später sagte er zu mir, was gibt es Schöneres als in den Armen seiner Frau zu sterben. Doch Jörg, es gibt Schöneres, aber das war leider nicht möglich.

Dann lernte ich wieder laufen, mit Angelika, wie sonst? Ich fuhr mit ihr zu meiner Freundin nach Dresden. Da hatte sie dann ein bißchen Schwierigkeiten mit meinem ganz und gar für meine Süße. An schlechten Tagen bekomm ich vorgerechnet, wie oft ich bei ihr bin. Dann stelle ich die Gegenrechnung auf, wie oft ich mich jetzt bei ihr rumtreibe.

Von ihr bekam ich die Massage an Jürgens Geburtstag im letzten Jahr. Es war ihr Sohn der im Frühjahr heiratete – ja, die verrückten Schuhe.

Und ja, manchmal geht ihr der Hut hoch, aber auch sie darf das. Es muß wohl im letzten Sommer gewesen sein, da machte sich ihre Schwiegermutter ein bißchen lustig über das Temperament von ihr. Ich nahm sie in den Arm, drückte sie und sagte zu ihr: ja, es geht dir der Hut hoch. Aber wenn es darauf ankommen, wenn es wirklich darauf ankommt bist du da – alles andere ist egal.

Ja, Angelika kann viel anstellen, ich vergess es nicht wie sehr sie mir geholfen hat. Ohne sie hätte ich die Pflegezeit nicht auf meine Art und Weise geschafft. Hab Dank dafür. Und auch Danke Jörg, nein, blöd bin ich nicht. Ich mach das, weil ich weiß, auch wenn ich am Nordpol sitze und um Hilfe brülle dann kommst du angerannt, ich weiß, du kommst. Das ist es Wert, ich weiß.

Die CD ist wunderschön geworden, nur fürchte ich, es wird ihr nicht besser ergehen wie mir, sie wird weinen. Soll ich sie weitergeben oder soll ich es lassen? Ich drück sie ganz einfach Jörg in die Hand, mit seiner Rede. Vielleicht doch ein bißchen blöd?

Ja, Shalom, ich werde weiter lesen. Vielleicht werde ich mal losbrüllen. Aber es ist tatsächlich so, daß Deine Worte mich jetzt besser erreichen. Vielleicht war da einfach die Zeit nötig, die mich wie ein Stein abgeschliffen hat?

Ja, Andreas, ich habe Deine Nachricht erhalten. Vielleicht findest Du es jetzt hier. Schön, daß es Dir gut geht. Aber die Zeit werden wir nicht vergessen und jeder ist auf der Suche nach seinem Weg.

Ja, Gaertner, liebe dich selbst. Nur heute mal wieder ein bißchen schwierig. Das Büchlein? Liegt auf dem Sofa.

Ja, es hat sich gelohnt. Ich würde das selbe Leben noch einmal leben.

Und noch immer biege ich um die Kurve, die zweitletzte Kurve vor dem Zuhause. Noch immer schaue ich hoch, hoch zum Balkon und noch immer hoffe ich, Jürgen steht da. Ja, Herzele, war schon immer so – warum sollte das jetzt anders werden?

Los, Andrea, aus den Federn, ich geh Haken schlagen. Bist Du dabei?

Bruni
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