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  #1  
Alt 14.06.2011, 10:47
juli66 juli66 ist offline
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Registriert seit: 22.03.2011
Beiträge: 13
Standard Meine Mutter ist gegangen

Ihr Lieben,

ich habe schon im Eierstockkrebs-Forum geschrieben, was passiert ist, aber dort passen die Ereignisse nicht mehr hin. Ich habe so sehr das Bedürfnis, weiter darüber zu sprechen, deshalb möchte ich Euch erzählen, was mich quält.

Meine Mutter (73) war eine sehr fidele, allein lebende Frau, sportlich, wach, interessiert. Überaus gesunde Lebensweise. Ging selten zum Arzt, nie zu Vorsorge. Anfang des Jahres begannen Zipperlein, alle im Bauchbereich, Blasenentzündungen, Schmerzen, Blähungen. Na ja, lange Rede, kurzer Sinn, nach etlichen verschiedenen Ärzten und Untersuchungen stand der Verdacht im Raum, es könnte Eierstockkrebs sein. Aszites war schon festgestellt worden, und bei Google konnte ich die scheußlichsten Ursachen dafür lesen...
Am Montag, den 21.3.2011 hatte sie eine Untersuchung in einer Frauenklinik, zu der sie durch die halbe Weltgeschichte mit Zug, Bus und Taxi hin- und anschließend auch wieder zurückfahren musste, und dort haben sie ihr wohl gesagt, dass es wirklich Eierstockkrebs ist, und dass sie sich einer großen Bauchoperation mit anschließender Chemotherapie unterziehen muss. Was sie über Lebenserwartung, Prognosen usw. gesagt haben, weiß ich nicht, aber nach dem Lesen in den Foren nehme ich an, dass es wahrscheinlich nur noch um eine palliative Behandlung gegangen wäre.

Sie hat am Montag nachmittag mit mir telefoniert (1000 km Distanz) und mir gesagt, dass sie sich das erst noch überlegen müsse, ob sie sich operieren lässt. Das war mir klar, weil sie immer schon die Meinung vertreten hat, dass man diesen Kampf kaum gewinnen könne. Am Dienstag wollte sie morgens zu ihrer Hausärztin gehen und sich mit ihr beraten. Am Abend wollte sie sich mit einem Freund treffen.
Ich habe sie am Dienstag in Ruhe gelassen, habe stattdessen im Netz gesucht: vormittags nach Behandlungsmöglichkeiten und -chancen, nachmittags nach Sterbehilfe (Exit, Dignitas usw.). Am Mittwoch habe ich morgens versucht, sie anzurufen, ich wollte ihr sagen, dass sie SOFORT zu uns kommen soll, wir würden es gemeinsam irgendwie schaffen, ich würde mit ihr auch in die Schweiz fahren... aber sie ging nicht ans Telefon. Der Freund, den sie angeblich am Abend vorher hatte treffen wollen, wusste von keiner Verabredung.
Ich bin dann mit dem Zug zu ihr gefahren, war, dank der üblichen Bahnverspätungen, verpasstem Anschlusszug und einbrechender Nacht fast 24 Stunden unterwegs. Zum Glück ist mein Mann mitgefahren, unsere Kinder kamen spontan bei irgendwelchen anderen Familien unter. Wir fanden sie tot in ihrem Bett, sie hat sich das Leben genommen (Tabletten, Exit-Methode).

Seitdem ist nichts mehr, wie es mal war. Ich bin so furchtbar traurig, dass sie nicht mehr da ist. Ich bin "traumatisiert", weil die Fahrt und das Auffinden mir nicht aus dem Kopf geht. Ich bin verletzt, weil sie ein Abschiedsgespräch mit mir geführt hat, von dem ich nicht wusste, dass es ein solches ist. Ich bin erleichtert, dass wir ihr nicht beim Sterben zusehen mussten. Ich habe Angst, dass ich diese Frage vielleicht auch irgendwann mal entscheiden muss. Ich bin beeindruckt von ihrer Stärke und Entschlossenheit. Ich bin ein verlassenes Kind ohne Mutter. Ich bin eine funktionierende Mutter. Ich arbeite und fahre in den Urlaub. Ich weine, wann immer ich daran denke, und merke, dass Außenstehende dafür zunehmend weniger Verständnis haben. Ich frage mich nach dem Sinn des Lebens, lese Bücher darüber. Ich vertrödele meine Zeit mit Denken, Erinnern, Lesen, kriege wichtige Dinge darüber kaum auf die Reihe. Ich möchte meine Ruhe haben. Ich fühle mich wie im Weltall. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mehr da ist, und weiß es andererseits genau - ich habe sie im Bett gesehen. Ich konnte nicht Abschied nehmen, mich nicht einmal an den Gedanken gewöhnen.

Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Kein Trost aus dieser Richtung, das muss ich aushalten. Sie sitzt nicht auf einer Wolke, ihre Asche haben wir im Meer beigesetzt, wie sie es sich immer gewünscht hat.
Ich bin ein verlassenes Kind.





Sehr traurige Grüße
Juli
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  #2  
Alt 14.06.2011, 14:53
Bremensie Bremensie ist offline
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Registriert seit: 25.11.2007
Beiträge: 758
Standard AW: Meine Mutter ist gegangen

Hallo Juli,
erst einmal mein Beileid zum Tod deiner Mutter. Lass dich einfach mal drücken. Nein einen richtigen Trost gibt es für dich und deine Familie zur Zeit nicht. Vieleicht hilft es dir ein wenig dass ihr dem Wunsch deiner Mutter gefolt seit und sie im Meer beigesetzt habt. So wie du deine Mum beschrieben hast war sie eine selbstständige und sportliche Frau.Sie wollte nicht leiden bezw. kämpfen und eventuell auf Pflege angewiesen sein. Sie hat selbst entschieden ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie hat es für euch, für dich in ihren Augen gut gemeint damit. Sie wollte keinem zur Last fallen. Akzeptiere ihren Wunsch. Natür lich darfst du ruhig wütend darüber sein dass sie dir nicht die Chance gegeben hat damit du dich von ihr verabschieden kannst und wie es für dich ist wenn du sie tot im Bett findest. Wenn es für dich möglich ist geh in eine Trauergruppe.
Erika
__________________
Jeder Tag ist der Anfang des Lebens.
Jedes Leben der Anfang der Ewigkeit.
(Rainer Maria Rilke)
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  #3  
Alt 14.06.2011, 17:29
Rheingoldcat Rheingoldcat ist offline
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Beiträge: 350
Standard AW: Meine Mutter ist gegangen

Hallo Juli,

auch ich kann dich nicht trösten, denn das vermag keiner. Auch Worte können das nicht.Es ist schlimm wenn die Umwelt nicht mit den Trauer der anderen umgehen kann. Aber so ist das leider.
Ich kann dich sehr gut verstehen, ich sitze auch viel da und Träume, schaue mir Bilder an und mein ganzes leben bekomme ich nicht mehr hin.

Lass dir die Zeit der Trauer und lass es raus, dass kann ich nur empfehlen, wenn es in meinem Umfeld Menschen gibt die es nicht verstehen können, so nehme ich das hin aber ziehe mich ein wenig auch von diesen Menschen zurück.

Ich wünsche Dir und deiner Familie viel Kraft und zusammenhalt.
Denke daran das du noch deinen Mann und deine Kinder hast die dich brauchen.

Gruß
Sabine
__________________
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  #4  
Alt 14.06.2011, 17:52
Benutzerbild von Wasser13
Wasser13 Wasser13 ist offline
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Beiträge: 138
Standard AW: Meine Mutter ist gegangen

Mein tiefes Mitgefühl ...


Liebe Juli,

furchtbar, was Du erleben musstest ...

Trost? Schwierig. Vielleicht kannst Du eines Tages einmal sagen: "sie hatte ihr Leben bis zum Schluss in ihrer eigenen Hand" - und vielleicht wirst Du darin einmal einen kleinen Trost finden.

Ich musste mit meiner Mutter eine ähnliche Erfahrung machen. Kein Krebs, sie ist an einem aufgebrochenen Magengeschwür gestorben. Total sinnlos. Ein Magengeschwür läßt sich doch behandeln! Dachte ich zuerst.

Dann habe ich das Leben meiner Mutter an mir vorbeiziehen lassen. Sie hat so viele schöne Jahre erlebt, ist viel gereist. Dann kam ihr Schlaganfall. Danach war nichts mehr wie vorher. Ja, sie konnte ihr Leben alleine weiterleben, brauchte keine Betreuung/Hilfe. Trotzdem muss ich auch sehen, dass ihr Leben sich nur noch auf ihre Wohnung plus kurze Spaziergänge zum Einkaufen oder auf den Friedhof beschränkte. Selbst die ca. 30 Minuten entfernte Grossstadt machte ihr Angst (Angst vor den vielen Menschen, dem grossen Bahnhof etc. ...). Sie lebte in ihrer eigenen Welt und hatte zum Schluss noch ihre Wohnung und ihren Balkon.

Auch sie lebte weit weg von mir, in Norddeutschland, während ich im Süden daheim bin. Wir haben regelmäßig telefoniert ... und sie hat mich ebenso regelmäßig belogen - auf ihren Gesundheitszustand bezogen. Sie war eine gute Schauspielerin (das meine ich nicht vorwurfsvoll sondern liebevoll): alles in Ordnung, ich habe gerade gekocht, gegesen etc. ... Wer kommt denn da auf die Idee, da könnte was nicht stimmen ...!?!

Die Realität. Richtig gegessen? Keine Ahnung, wann sie dass das letzte Mal hat. Als sie in ihrer Wohnung starb (sie wurde 2 Tage später gefunden), war ihr Kühlschrank leer. Leer! Dafür stand der Babybrei im Schrank, verschiedene Sorten, alle offen. Sie hat sich von Babybrei ernährt ... Ich wage nicht darüber nachzudenken, was das im Einzelnen bedeutet haben mag (schlimme Schmerzen?). Ich tröste mich heute damit, mir zu sagen, dass sie ihren ganz eigenen Weg gegangen ist ... bis zum Schluss.

Liebe Juli, ich wünsche Dir, dass Du den Abschied von Deiner Mutter einmal ähnlich betrachten kannst. Vielleicht wollte Deine Mutter keine weiteren Arztbesuche und Behandlungen mehr. Vielleicht wollte sie Dich nicht belasten sondern schützen. Sie hat Dir "Auf Wiedersehen" gesagt, auch wenn Du es erst im Nachhinein so siehst. Was neben der Frage nach dem Warum bleibt, sind vielleicht auch die Dinge, die Du ihr noch hättest sagen wollen. Ich weiß nicht, wie es in Dir aussieht: mir hilft schreiben (was ich meine: einen Brief an Deine Mutter mit all den Dankeschöns und Vorwürfen, mit denen sie Dich zurückgelasssen hat).

Gib' dem Geschehen Zeit ...

Damit schickt wasser13 stille Grüße ...
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  #5  
Alt 14.06.2011, 18:18
juli66 juli66 ist offline
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Beiträge: 13
Standard AW: Meine Mutter ist gegangen

Liebe Erika, liebe Sabine, liebe wasser13,

Danke für Eure anteilnehmenden Worte. Zu guten Zeiten sehe ich tatsächlich auch die "guten" Seiten. Die Alternative, sich behandeln zu lassen, hätte meine Mutter abgelehnt. Die Alternative, auf den Tod zu warten, hat sie sich und uns erspart. Natürlich konnte sie auch nicht am Telefon sagen "tschüss, ich nehme mir nachher das Leben". Und eine Reise in die Schweiz, damit sie dort von mir begleitet ein Mittel nimmt, das hier von Tierärzten eingesetzt wird, ist auch nicht das, was einen unbelastet zurücklässt. Und mir ist auch klar, dass bei ordentlichem Verlauf die Mütter vor den Töchtern sterben.
Ich bin froh, dass uns das alles erspart geblieben ist, was man in den Foren hier lesen kann, und trotzdem...


Trotzdem hat mich das alles ziemlich aus der Bahn geworfen, und es belastet mich täglich, im Alltag so ungerührt funktionieren zu müssen. Meine liebreizenden Kinder (immerhin 9 und 13...) fragen schon jetzt unschuldig "warum", wenn ich sage, dass ich traurig bin. Auch meine Mutter ist eine Krebstote, auch wenn sie nicht durch den Krebs gestorben ist, sondern "nur" wegen ihm. Und es beschäftigt mich ständig, was ich machen würde, machen könnte, wenn ich in die Situation käme. Eigentlich denke ich nicht einmal "käme", sondern komme. Ich sehe es kommen und ich habe Angst. Meine Mutter war mir in so vielem ein Vorbild, dass ich einfach das Gefühl habe, ich muss JETZT und HEUTE klären, was ich machen würde. Blöd, gell? Und die wichtigste Person, mit der ich darüber reden könnte, ist nicht mehr da. Und ich hatte sie so lieb.

Ihr Kinder von gestorbenen Eltern, habt Ihr auch so Angst seitdem?


juli
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  #6  
Alt 14.06.2011, 18:45
Benutzerbild von Wasser13
Wasser13 Wasser13 ist offline
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Beiträge: 138
Standard AW: Meine Mutter ist gegangen

Liebe Juli,

"was ich mache wenn es mich mal trifft" ... diese Frage hat sich mir nach dem Tod meines Mannes auch gestellt, ich habe ihn ihn seiner Haltung seiner Krankheit gegenüber bewundert (und das wird mir in Erinnerung bleiben).

Klären jetzt, hier, heute ... klingt unmöglich. Wer weiß, wie lange wir bei bester Gesundheit sind, bevor uns das eine oder andere Schicksal trifft. Und wie wir dann reagieren, hängt von der Situation ab und die Forschung schläft auch nicht ... Jede Geschichte ist anders.

Liebe Juli, versuche aus diesem Kreis rauszukommen. Wenn's nicht anders geht, mit ärztlicher Unterstützung, Gesprächstherapie oder ähnlich.

Deine Kinder sind noch jung, Ihr habt doch noch so viel Leben vor Euch ... Du und Deine Familie mit Euren Verwandten, Freunden ...

Nochmal grüßt "Vollwaise" ... wasser13
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