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  #1  
Alt 04.01.2009, 14:13
Benutzerbild von Susanne85
Susanne85 Susanne85 ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Liebe Sanni,

ich lese deinen Thread immer mit :-)

Was meine Mama sagen würde, wenn ich ihr erzähle, dass ich mir Vorwürfe mache? Sie würde sagen "Es ist schon gut.".

Als Mama gegangen war, als ich wieder ins Zimmer kam, habe ich die Schwester geholt. Ich habe mich nicht zu ihr hingetraut allein. Ich habe, als ich die Türe öffnete einfach nur nichts mehr gehört. Kein Rasseln mehr. Kein nach Luft schnappen mehr. Allein traute ich mich nicht an ihr Bett. Als ich mit der Schwester und dem Pfleger bei ihr stand, habe ich sie geschimpft, dass sie nicht gewartet hat. Aber auch die Schwester hat gesagt, Mama wollte nicht, dass ich da bin. Sie erlebt das sehr oft, dass die Menschen gehen, sobald ihre lieben aus dem Zimmer sind. Und wenn sie nur vor der Türe stehen. Ich glaube, Mama war noch da, als ich ins Zimmer kam. Es war ein ganz komisches Gefühl. Als ich ihre Hand nahm, fühlte es sich nicht anders an, als den ganzen Tag. Denn sie lag ja leblos im Bett und hatte nicht mal mehr Kraft, die Augen zu öffnen. Nicht, dass sie es nicht versucht hätte. :-) Sie war eben ein Sturkopf und wollte bis zur letzten Minute nicht gehen.

Ich weiss, es macht keinen Sinn auf Papa wegen Mama sauer zu sein. Ich bin ja nicht nur deshalb sauer. Mama hat es immer gehasst, dass er trinkt. Und was macht er? Er stand besoffen an ihrem Totenbett. Meine Schwester und ich haben die ganze Beerdigung organisiert. Alleine. Und was macht er? Er meckert, weil kein Kreuz auf dem Sarg war. Dann sagt er Sachen wie "Gebt nicht das ganze Geld der Versicherungen für die Beerdigung aus. Ich möchte, dass mir was bleibt davon." Das finde ich einfach eine Frechheit. Es ist ja nicht so, dass er es für notwendige Dinge brauchen würde. Er will es einfach nur versaufen. Und da gebe ich lieber alles für Mama aus, als dass ich damit die Pacht seiner Wirte bezahle. Das habe ich schon oft genug getan. Er beschwert sich auch, dass ihn niemand anruft. Aber wer soll denn anrufen? Er hat keinen mehr. Weil er durch den Alkohol alle vertrieben hat. Die einzige, die er hat, bin ich. Und da ist er auch dabei, sich das zu versauen. Ich habe die letzten ein paar tausend Euro - die ich selbst nicht hatte - in Mama "investiert". Damit sie sich bei dem Arzt ihres Vertrauens, der bei Flensburg ist (wir kommen aus Bayern) behandeln lassen kann (also Reisekosten etc). Ich habe Chemozuzahlungen bezahlt, weil er das Geld versoffen hat. Ich habe ihre Brillen bezahlt, die sie nicht brauchte (lange Geschichte), den Totenschein, die Sterbeurkunden etc. Hätte ich noch mehr Geld gehabt, hätte ich es auch Mama gegeben. Damit sie alles bekommt, was sie braucht und will. Für Mama würde ich es jederzeit wieder tun. Aber er fragt nicht mal danach und weist uns dann noch an, sparsam bei der Beerdigung zu sein. Das sind alles so kleine Dinge, die mich wütend machen. Geld spielt für mich bei dem Begräbnis meiner Mama keine Rolle. Und auch bei ihrer Behandlung hat es das nicht. Dann hab ich halt nen Kredit aufgenommen. Aber dass das alles nicht ansatzweise von ihm gewürdigt wird, macht mich sauer. Ich will das Geld ja nicht zurück. Ich will einfach nur, dass er es anerkennt und mich nicht noch nervt, dass er ja noch 100 € für die Autoversicherung bekommt.

Liebe Ela,

ich fühle mich irgendwie wie betäubt. Ich weine kaum. Außer an ihrem Grab. Oder manchmal abends im Bett. Aber ich bin auch nicht glücklich. Ich bin distanziert, ruhig un still. Aber ich bin kaum traurig. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich es noch nicht glauben kann, es noch nicht verinnerlicht habe.

Ob Mama gewusst hat, wie weit der Krebs ist, werde ich nie erfahren. Ich sollte mir auch keine Gedanken darüber machen. Denn ich werde keine Antwort bekommen.

Habt ihr manchmal das Gefühl, eure Lieben sind bei euch? Ich spüre Mama nicht. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, sie ist bei mir. Und das macht mich traurig.

Wisst ihr etwas gegen Schlafstörungen? Ich bekomme zwar leichtes Beruhigungsmittel vom Arzt, wovon ich 1 Tablette vor dem Schlafengehen nehme, liege aber trotzdem bis 3 Uhr wach und kann nicht schlafen. War oder ist das bei euch auch so? Was kann ich da machen?

Viele liebe Grüße


Susanne
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Für meine geliebte Mama
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  #2  
Alt 05.01.2009, 09:09
Ela4811 Ela4811 ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Liebe Susanne,

ich war am Anfang wie betäubt und habe daruber geredet als wenn ich irgendwas erzähle. Ich glaube, es ist normal. Man muss erst einmal versuchen, dass ganze zu verstehen und dann zu verarbeiten.

Ich habe die ersten viele Nächte danach die Nacht immer wieder erlebt. Ich konnte kaum schlafen und war ständig wach. Ich habe auch Tabletten bekommen, aber ich habe die nicht genommen. Ich habe es mit Tee`s probiert usw. Aber nichts half. Aber bei wurde es nach einiger Zeit besser.
Es braucht alles seine Zeit.

Manchmal fühle ich meine Mam, aber leider wird das immer weniger. Am Anfang habe ich ein Ritual gehabt, dass mache ich heute noch, aber am Anfang war mir Mam da sehr nah. Heute nicht mehr so ganz. Aber ich habe sie in meinem Herzen und nach und nach kommen auch die alten Erinnerungen wieder. Und ich denke viel an sie.

Drück dich

Ela
__________________
Mam
* 18.06.1949 + 08.01.2008

Wenn wir Dir auch die Ruhe gönnen,
ist voller Trauer unser Herz;
Dich leiden sehen und nicht helfen können,
das war unser größter Schmerz.

Ich werde Dich ewig lieben!!!
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  #3  
Alt 07.01.2009, 12:14
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Hallo Susanne,

seit dem 3.01. um 4 Uhr früh bin auch ich in diesem Forum "richtig". Da ist meine Frau für immer eingeschlafen. Wir hatten das große Glück, dass sie Zuhause sterben durfte und dass ich in ihren letzten Stunden bei ihr sein konnte. Sie konnte nicht mehr sprechen, aber mich noch erkennen und mich verstehen. Und so habe ich ihre Hand gehalten und ihr "zum Abschluss" von all den schönen Dingen erzählt, die wir in über 20 Jahren Partnerschaft miteinander erlebt haben. Und sie hat dazu genickt und noch oft gelächelt.

Zitat:
Zitat von Susanne85 Beitrag anzeigen
Habt ihr manchmal das Gefühl, eure Lieben sind bei euch? Ich spüre Mama nicht. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, sie ist bei mir. Und das macht mich traurig.
Ich spüre meine Frau auch nicht. Ich habe das aber auch nicht erwartet. Ich bin nicht religiös und "glaube" an den Hirntod. Und schon wenige Stunden nach ihrem Tod war mir auch im Herzen klar, dass sie nun "einfach weg" ist. Meine Frau war nach ihrem Tod 3 Tage lang Zuhause aufgebahrt (was in D gesetzlich maximal erlaubt ist; Anthroposophen glauben, dass die Seele 3 Tage braucht, um den Körper zu verlassen), und sie ist von mir und ihrer Schwester gewaschen und gekleidet worden. Das war sehr wichtig. Denn gespürt haben meine Schwägerin und ich nur, dass das, was dort im Bett liegt, nicht mehr unsere Frau bzw. Schwester und engste Vertraute ist, sondern eine sterbliche Hülle. Diese Tage waren, auch wenn wir oft bei meiner Frau waren, sie zum Abschied nehmen angesehen, berührt und mit ihr gesprochen haben (und darauf aufgepasst, dass die rote Totenkerze in diesen 3 Tagen niemals erlischt), ganz seltsam "gefühllos". Kann ich schlecht beschreiben. Das war nicht mehr sie. Ihre Seele war schon entwichen. Wohin auch immer. Vielleicht meldet sie sich ja mal von da, wo sie jetzt ist - wenn auch sie etwas Abstand von den Ereignissen der letzten Wochen und Monate hat.

Ich spreche oft mit meiner Frau. Ein Ort dafür hat sich ganz "von selbst" ergeben: An ihrer Schlafzimmertür, die von der Küche abgeht, hängt seit Jahren ein DIN A3 großes Foto ihres Gesichts, das ich vor gut 10 Jahren mal gemacht und selbst entwickelt und vergrößert habe. Dieses Foto, das ich, wenn ich in der Küche bin, tagtäglich stundenlang sehe, habe ich vorher nie bewußt wahrgenommen - es war einfach da und ohne große Bedeutung. Erst vorgestern, zwei Tage nach dem Tod meiner Frau, schaute ich wieder mal dahin, wohl zum xx-ten mal an diesem Tag... und dann machte es plötzlich "klick". Das ist sie! Nicht das, was im Wohnzimmer im Bett liegt und darauf wartet, abgeholt und eingeäschert zu werden. Sondern die Frau, die mich vom Foto aus in Großaufnahme glücklich anlächelt. Seither spreche ich mit diesem Foto meiner Frau. Auf Augenhöhe, nur ein paar Meter entfernt. Es ist z.Z. ein Symbol, ein Ort der Zwiesprache und des Gedenkens, für mich schöner und besser als jeder Grabstein (meine Frau wird ohnehin 750 km entfernt beigesetzt, in einem Friedwald in ihrer alten Heimat).

Also spreche ich hier mit ihr. Aber geantwortet hat sie noch nicht, und spüren kann ich sie auch nicht. Noch nicht. Aber das wird kommen, ganz sicher.

Zitat:
Wisst ihr etwas gegen Schlafstörungen? Ich bekomme zwar leichtes Beruhigungsmittel vom Arzt, wovon ich 1 Tablette vor dem Schlafengehen nehme, liege aber trotzdem bis 3 Uhr wach und kann nicht schlafen. War oder ist das bei euch auch so? Was kann ich da machen?
Gegen Schlafstörungen bekommst du in jeder Apotheke rezeptfrei wirksame Mittel, z.B. "Hoggar Night". Aber bitte nur kurzzeitig anwenden, nicht auf Dauer. Ich kann eigentlich ganz gut schlafen. Aber ich wache immer noch ohne Wecker pünktlich kurz vor Mitternacht und kurz vor 6 Uhr morgens auf - zu den Zeiten habe ich in den letzten Wochen nächtlich nach meiner Frau geschaut und ihr per Infusion ihre Medikamente gegeben. Und natürlich habe ich seltsame Träume. Nicht direkt Alpträume, aber schon mit Inhalten, die mir zeigen, dass ich im Moment halt vieles im Schlaf verarbeiten muss.

Die Trauer, Einsamkeit und tiefe Verzweiflung wird noch kommen, mit etwas Zeitabstand. Meine Frau hat gut eine Woche vor ihrem Tod zu ihrer Schwester (die beiden sind sich seit fast 35 Jahren die wichtigsten Menschen auf der Welt) noch so treffend gesagt: "Du hast jetzt die Arschkarte gezogen." "Warum?" "Ich darf gehen, aber du musst weiterleben." So ist es leider. Wir Hinterbliebenen müssen weiterleben. Und nicht nur irgendwie überleben, sondern - nach der Zeit, die jeder ganz persönlich für seine Trauer braucht - es meiner Frau gleichtun. Sie konnte ihr diesseitiges Leben loslassen und in Frieden gehen. Und so werden auch wir als Angehörige irgendwann lernen, loszulassen und in Frieden ein "neues Leben" zu beginnen. Unser Leben ohne den wichtigsten Menschen, der bis vor kurzem noch bei uns war.

Beim Schreiben der ersten Zeilen dieses postings musste ich mal wieder heulen wie ein Schlosshund und erstmal eine Pause einlegen. Jetzt gerade muss ich schmunzeln, weil ich mich daran erinnere, wie meine Frau mich "erzogen" hat. Wenn ich mich mal wieder daneben benommen habe oder etwas nicht begreifen, sondern stundenlang sinnlos rumdiskutieren wollte, hat sie zu mir gesagt: "Du gehst jetzt besser auf dein Zimmer. Und wenn du dich besonnen hast, kannst du wieder rauskommen." Das hat funktioniert. Und so werde ich in Zukunft so weiterzuleben versuchen, wie meine Frau es sich gewünscht hat. Nach der Trauer dem Leben ins Gesicht lachen, auf zu neuen Ufern. Nicht verkriechen, einigeln, verzweifeln und jahrelang sich das Hirn mit der Frage "warum?" zermarten.

Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit. Und in den nächsten Wochen und Monaten werde ich sicher viel öfter weinen als lachen, und es wird verdammt schwer werden. Aber dann werde ich "die Kurve kriegen" und nach vorne schauen. Weil ich genau weiss, was sonst passiert: wenn ich das nicht tue, wird irgendwann die Stimme meiner Frau von oben zu mir sagen: "Du gehst jetzt besser auf dein Zimmer..." Und darauf lege ich nun wirklich keinen Wert ;-)

Viele Grüße,
Stefan

PS: es mag vielen hier herzlos erscheinen, dass ich angesichts des kürzlichen Todes meiner Frau genau wie immer noch schlechte Witze machen kann. Aber so kennt sie mich, und sie würde sich in der Urne umdrehen, wenn ich mich anläßlich ihres Todes plötzlich so verändern würde, dass sie mich nicht wiedererkennen könnte. Also ist das in Ordnung so.
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  #4  
Alt 07.01.2009, 15:25
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Susanne85 Susanne85 ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Lieber Stefan,

es tut mir sehr leid, dass du deine Frau nun auch verloren hast. Deine Worte haben mich sehr berührt. Ich bin auch nicht religiös. Aber ich glaube daran, dass es nach dem irdischen Leben noch etwas gibt. Vielleicht muss die Seele noch einen Prozess durchleben, ehe sie "ankommt" und dann vielleicht bei uns "nach dem Rechten sieht". Ob das von oben, unten oder "drüben" ist, weiss ich nicht. Gestern lag ich im Bett und habe auf meiner Stirn und Backe ein kleines Kribbeln bzw. Kitzeln gespürt. Ich weiss nicht, ob das neurologisch bedingt war oder ob sie da war und mir übers Gesicht gestreichelt hat. Ich werde es nie wissen. Hier hilft wirklich nur ob man glaubt oder nicht glaubt, dass sie es war. Nur bin ich eben viel zu oft ein Zweifler oder Realist.

Mama ist ja im Krankenhaus gestorben. Aber ich fand auch, dass sie bereits nach 30 Minuten schon nicht mehr aussah wie meine Mama. Man hat es einfach gesehen, dass das Leben, die Persönlichkeit, kurz gesagt: die Seele weg ist. Sie sah aus, wie eine Puppe. Als die Seele gerade erst gegangen ist, sah sie noch aus, wie meine Mama, die nun friedlich schläft. Aber kurz danach schon nicht mehr.

3 Tage hätte ich das wohl nicht ausgehalten. Denn das Aussehen verändert sich ja scheinbar fast stündlich. Ich bewundere dich und deine Schwägerin dafür. Es fordert viel Kraft.

Ich brauche meinen Weg zu ihrem Grab ca. alle 2 Tage. Mir ist es - aus welchen Gründen auch immer - sehr wichtig, dass immer eine Kerze bei ihr brennt. Dort muss ich dann auch weinen. Bzw. ist es auch die einzige Zeit, in der ich allein bin und dann auch richtig trauern kann.

Ich träume auch sehr intensiv. Aber es sind keine Alpträume mehr. Irgendein Quatsch, der aber sehr intensiv ist. Hab schon mal unter Traumdeutungen nachgelesen und da stand sogar was von Trauer.

Ich habe in der Apotheke Baldriparan bekommen. Das hilft aber nicht. Habe auch schon von Hoggar gehört und werde mir dies wohl heute kaufen. Ich schlafe nur noch stundenweise und das dann nicht mal tief.

Wie geht es dir jetzt? Wie fühlst du dich? Kannst du es schon begreifen?

Tröstende Grüße


Susanne
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Für meine geliebte Mama
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  #5  
Alt 07.01.2009, 19:59
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Hallo Susanne,

Zitat:
Zitat von Susanne85 Beitrag anzeigen
Wie geht es dir jetzt? Wie fühlst du dich? Kannst du es schon begreifen?
Im Moment geht es mir so gut, dass es mir fast schon peinlich ist. Denn "eigentlich" sollte ich ja gerade nur trauern und mit Leichenbittermiene rumlaufen.

Tue ich aber gerade nicht. Denn bei allem Leid und aller Trauer: wir haben da einen absolut erstklassigen Abgang hingelegt. Das soll uns erstmal einer nachmachen. Meine Frau sitzt da oben, und meine Schwägerin und ich haben zu ihr gesprochen und gesagt: "Na, Christel, wie haben wir das gemacht?" Und sie hat geantwortet: "Super. Genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Ein dickes Sonderlob für euch." Und in diesem Bewusstsein haben meine Schwägerin und ich uns umarmt, uns gegenseitig auf die Schulter geklopft und uns im Gedenken an meine Frau Montag abend so richtig einen auf die Lampe gegossen (ein Privileg der Lebenden: wer weiss schon, ob meine Frau da, wo sie jetzt ist, noch ihren geliebten Remy trinken darf - und wenn sie richtiges Pech hat, herrscht im Jenseits vielleicht sogar Rauchverbot )

Die Tage vom Sterben meiner Frau bis zur Abholung der Leiche gestern früh waren halt extrem anstrengend. Ich hatte von Freitag früh bis Sonntag früh nicht geschlafen, die Wochen vorher auch nur mit mehreren Unterbrechungen die Nacht, und die Tage danach wegen Stress auch nicht richtig. Und dann natürlich xxx-mal telefoniert, am So und Mo die Freunde empfangen, die meine Frau nochmal sehen wollten, usw. Als dann Dienstag früh der Bestatter zum Abholen kam und wir das Hoftor hinter dem Leichenwagen geschlossen haben... da kehrte erstmals seit Tagen Ruhe ein.

Und seither bin ich ziemlich gelöst, befreit und auch recht zufrieden. Denn, bei aller Tragik: meine Frau ist so gestorben, wie sie und ich es uns gewünscht haben. Aus der Klinik raus, rechtzeitig zu Weihnachten. Zuhause, mit Weihnachtsbaum, Ehemann, Hund und Katze. Sie hat Mutter, Schwester, Bruder und die wichtigsten Freunde noch treffen und von ihnen Abschied nehmen können. Sie hat nicht viel gelitten. Sie war die letzten 14 Tage Zuhause schmerzfrei (das Wichtigste überhaupt!), geistig wach und recht guter Dinge (wenn auch oft sehr müde und erschöpft). Sie lag nur die letzten 2 Tage lang wirklich hilflos im Bett, mit Blasenkatheter und Windeln. Und sie ist überraschend schnell und friedlich eingeschlafen. Vom ersten "Atemrasseln" bis zum letzten Atemzug verging kaum eine Viertelstunde. Sie war bereit, zu gehen - in Frieden und im Einklang mit sich. Und ich durfte sie dabei bis zuletzt begleiten.

Insofern fühle ich mich im Moment fast glücklich. Weil mir klar ist, welche Gnade uns erteilt wurde. Meine Frau durfte so sterben, wie sie sich das gewünscht hat. Und ihr diesen Wunsch erfüllen zu können, erfüllt mich mit Zufriedenheit. Wenn ich daran denke, was in den letzten Wochen alles hätte schiefgehen können... Dann mache ich drei Kreuze, dass letztendlcih doch alles so "schön" geklappt hat. Und ich weiss, dass meine Frau da, wo sie jetzt ist, das ganz genau so sieht. Es hätte - wenn man schon sterben muss - gar nicht besser laufen können. Dafür sind wir Zufall / Schicksal / Fügung / liebem Gott / wem-auch-immer zutiefst dankbar.

Zitat:
Kannst du es schon begreifen?
Schwer zu sagen. Im Moment bin ich erleichtert, dass dieses schwere Kapitel des Sterbens, Aufbahrens und ersten Abschied nehmens abgeschlossen ist.

Das Begreifen und die tiefe Trauer werden noch kommen. Meine Frau war oft genug für längere Zeit weg. Ob mit Freunden im Urlaub, in Klinik oder Reha. Und nach etwa einer Woche ohne sie fange ich seit Jahren an, sie schmerzlich zu vermissen. Und wie es dann sein wird, wenn ich sie nicht mehr anrufen kann und ihr sagen "Du fehlst mir so. Komm doch schnell wieder nach Hause, ich freue mich schon darauf." Und wenn ich dann tagtäglich be-greifen muss, dass sie tatsächlich nie mehr nach Hause kommt...

Wie sich das anfühlt, frag' mich in 1-2 Wochen nochmal. Ich weiss es noch nicht. Aber ich habe schon jetzt eine Scheiss-Angst davor, weil ich es mir so ungefähr vorstellen kann. Soviel Angst, wie ich sie mein Leben lang nicht gehabt habe. Und würde am liebsten meine Sachen packen und gleich abhauen. Irgendwohin, wo ich mich selbst und meine Gefühle nicht mitnehmen muss.

Das Begreifen wird mit der Trauer und der Verzweiflung schon kommen. Sich feige Verkrümeln geht halt nicht - wir müssen irgendwie weiterleben. Und ich WILL das auch. So, wie meine Frau das für mich auch will. Also ist es beschlossene Sache: wir werden das schon irgendwie schaffen

Zitat:
3 Tage hätte ich das wohl nicht ausgehalten. Denn das Aussehen verändert sich ja scheinbar fast stündlich. Ich bewundere dich und deine Schwägerin dafür. Es fordert viel Kraft.
Die 3 Tage Aufbahrung Zuhause hat meine Frau so gewollt, und ich auch. Das war sehr richtig und wichtig, aber auch anstrengend. Wobei ich seit langem der Meinung bin, dass die unausweichlichen Schwierigkeiten im Leben so oder so kommen, früher oder später. Vielleicht kann ich im Moment einen Bogen darum machen. Aber dann begnet mir genau dieses Problem halt später. In diesem Zusammenhang: ja, wir hätten es uns jetzt im Moment leichter machen können. Aber ich bin überzeugt davon, dass uns dieses nicht sofort "abgeladene Gewicht" dann halt irgendwann viel später auf die Füße gefallen wäre. Und dann wäre es noch viel schwerer und schlimmer gewesen als jetzt. Jetzt haben wir uns dieser Sache gestellt und sie bewältigt. Und können diese Erfahrung "reinen Herzens" und ohne Reue "abhaken".

Was die 3 Tage Aufbahrung Zuhause betrifft, sehe ich das inzwischen aus Erfahrung etwas differenzierter. Einfach, weil sich der Körper halt zersetzt, und weil damit (ganz unterschiedlich; hängt nicht nur von der Temperatur ab, sondern auch vom Individuum und wie / woran dieser Mensch gestorben ist) nach gewisser Zeit ein merkwürdiger Geruch entsteht, Flüssigkeiten austreten, sich die Haut pellt, Finger und Lippen blau werden, Leichenflecken entstehen usw. Das war für meine Schwägerin und ich am dritten Tag schon ziemlich eklig und eine echte Überwindung. Selbst jetzt habe ich manchmal noch kurzzeitig das Gefühl, dass ich den Leichengeruch mit mir rumtrage. Aber auch das ist nur kurzzeitig. Zumindest wissen meine Schwägerin und ich jetzt für später: wenn es bei uns mal so weit ist - 2 Tage Aufbahrung reichen, mehr möchten wir den Hinterbliebenen nicht zumuten.

Viele Grüße,
Stefan
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  #6  
Alt 07.01.2009, 21:03
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Susanne85 Susanne85 ist offline
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Lieber Stefan,

ich bin überwältigt von dem Humor, den du (noch) trotz allem mit dir trägst. Auch die Kraft und dieses tiefe Bewusstsein, für das, was passiert ist oder passieren wird. Liegt es an der "tollen gemeinsamen Planung" zwischen dir und deiner Frau? An der puren Offenheit und Ehrlichkeit euch beiden gegenüber? Daran, dass du einfach älter und somit reifer und lebenserfahrener bist?

Ich denke nicht mehr so ununterbrochen an die vergangenen 1 1/2 Jahre, die letzten 6 Wochen im Leben meiner Mama oder an ihren Todestag, den 16.12.2008. Aber wenn ich abends im Bett liege, dann denke ich daran. Und zwar nur daran. Und ich kann es nicht abstellen. Wenn ich lache und glücklich und zufrieden bin, denke ich daran. Ich weiss, was Mama sagen würde: "Lach und freue dich für mich, dass ich es hinter mir habe! All die Qualen, die Schmerzen, die Hilflosigkeit, die Angst, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit etc.! Freue dich für mich, trink einen auf mich und lebe!!". Ich weiss auch, dass es richtig ist, sich zu freuen, wenn mir danach ist oder eben zu weinen, wenn ich das brauche oder will. Aber manchmal fühlt es sich komisch an, zu lachen.

Ich habe mir immer das Bild vor Augen führen müssen, als sie tot im Bett lag, um auch zu verstehen, dass sie nie wieder kommt. Zur Zeit will ich sie immer anrufen und ihr sagen "Mama, du glaubst nicht, was ich für einen Bericht im Fernsehen gesehen habe!". Und dann merke ich, ich kann nicht anrufen. Und dann bin ich verzweifelt. Ich frage mich dann immer, wen ich denn jetzt anrufen soll. Mama konnte ich immer anrufen. Egal wegen was. Und wenn ich einfach nur reden will. Und dann muss ich ans Grab gehen und weinen. Manchmal kommt es in Arbeit, dass ich einfach feuchte Augen bekomme. Ich bin sehr durcheinander. Wenn ich weine, will ich nicht in den Arm genommen werden. Deshalb weine ich auch noch kaum zu Hause. Ich will nicht ablehnend meinem so bemühten Freund gegenüber wirken.

Und ich habe Angst vor morgen. Morgen habe ich Geburtstag. Und mir wird beim Schreiben dieser Zeilen und dem Brennen der Kerzen an ihrem Sterbebild so sehr bewusst, dass sie morgen nicht kommt. Sie steht nicht aufgepackt mit Geschenken und Kuchen um 9 Uhr vor meiner Tür und singt Happy Birthday. Deshalb werde ich morgen um 9 Uhr schon nicht mehr zu Hause sein, damit ich nicht auf das Klingel warte.

Meine Mama ist auch so gestorben, wie sie wollte. Sie sagte immer, wenn sie stirbt möchte sie auf der Palliativstation sterben. Und sie möchte einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen. Und sie möchte nicht allein sein. Gegen letzteres hat sie sich wohl doch noch kurzfristig umentschieden. Aber sie hat sich den ganzen Tag gequält. Denn den ganzen Tag war sie nicht allein. Sie wäre sicher früher gegangen, wenn sie früher allein gewesen wäre. So sehr setzte sie mit letzter Kraft noch ihren Willen durch.

Für das Aufbahren hast du allen Respekt von mir. Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Ich weiss nicht wieso, aber der tote Körper meiner Mama hat Unbehagen, ja sogar etwas Angst in mir ausgelöst. Und dann die Verwesungserscheinungen, die folgen... Ich will gar nicht daran denken. Dazu gehört viel Kraft. Ich habe mir oft die Bilder vorgestellt, wie die Krankenschwester Mama wohl gekämmt, abgewaschen, umgezogen, umgebettet und geschmückt hat. Und auch das hätte ich nicht gekonnt. Ich konnte nicht mal ihre Dinge zusammenräumen, während sie noch in diesem Bett lag. Und die Bettnachbarin noch dazu genauso aufgebahrt in ihrem Bett im gleichen Zimmer lag. Ich will gar nicht daran denken.

Ich glaube, für den Partner ist das alles noch eine Ecke anders. Mein Papa hat mir gesagt, dass er es so schlimm findet, dass überall in der Wohnung ihre Sachen sind. Egal wo er hinsieht, es erinnert und schmerzt ihn. Und die Einsamkeit. Das alles habe ich ja nicht. Ich habe auch Dinge von Mama hier. Ihre Handtasche, ihren Schlüssel, ihren sorgfältig gepflegten Kalender, der einem Tagebuch gleicht, ihren Geldbeutel, ihr Armketten, das sie mir vermacht hat, ihren Jogginganzug, ihre Jacke etc. Aber ich habe das hier, weil ich das will.

Ich trinke jetzt noch ein Glas Wein. Auf mich, auf meine Mama, auf dich, lieber Stefan, und auf deine Frau Christel (falls sie wirklich Alkoholverbot haben. Das Rauchverbot wäre für Mama auch fatal. Sie hat am 14.12.2008 ihre letzte geraucht )

Viele liebe Grüße

Susanne
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  #7  
Alt 08.01.2009, 11:22
Cindy 69 Cindy 69 ist offline
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Happy Birthday !!!

Liebe Susanne,

meine herzlichsten Glückwünsche für dich in deinem neuen Lebensjahr, viele glückliche Momente und viel Gesundheit !

Dein erster Geburtstag ohne deine Mama, ich weiß. Und trotzdem hoffe ich, dass du für heute einen für dich schönen Tag erleben darfst. So, wie es dir gut tut, nicht so wie es andere von dir erwarten.

Bussi rechts und Bussi links und einmal feste gedrückt
grüsst dich herzlichst
Cindy
__________________
Meine geliebte Oma: 04.02.1916 - 22.12.08
Meine geliebte Mama: 07.04.1950 - 22.01.09

Menschenleben sind wie Blätter die von Bäumen fallen,
all unsere Liebe vermag es nicht zu verhindern...
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  #8  
Alt 08.01.2009, 11:49
Ronnya Ronnya ist offline
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Liebe Susanne...
zu deinem Geburtstag wünsch ich alles Gute,viel Gesundheit,und die Gelassenheit, die Dinge des Lebens so anzunehmen ,wie sie halt kommen......
Ich umarm dich mal fest
Regina
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Erinnerungen ,die nicht verblassen,
bilden ein festes Fundament in unserem Inneren
Mein geliebter Vater - 16.6.2008
Und immer sind da Spuren deines Lebens
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  #9  
Alt 08.01.2009, 14:44
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Liebe Susanne,

Zitat:
Zitat von Susanne85 Beitrag anzeigen
ich bin überwältigt von dem Humor, den du (noch) trotz allem mit dir trägst.
Das ehrt mich Und es erinnert mich an das Motto, das der ambulante Hospizdienst hier vor Ort auf seiner Homepage hat:

Man stirbt wie man lebt.
Das Sterben gehört zum Leben,
nicht zum Tod.

So ist es. Und meine Frau und ich haben halt eher unkonventionell gelebt. Und aus Erfahrung mit der Überzeugung, dass jeder Tag, an dem man nicht lacht, ein verlorener Tag ist. Selbst, wenn es mitunter nur noch zu Galgenhumor reicht.

Zitat:
Liegt es an der "tollen gemeinsamen Planung" zwischen dir und deiner Frau? An der puren Offenheit und Ehrlichkeit euch beiden gegenüber? Daran, dass du einfach älter und somit reifer und lebenserfahrener bist?
Es liegt sicher daran, dass die "Vorwarnzeit" beim Sterben meiner Frau einige Monate betrug. Und wir deshalb alle wichtigen Dinge ansprechen und so regeln konnten, wie es meine Frau gewünscht hat. Aber du hast recht: trotz genug Zeit in der "Planungsphase" ging das nur, weil wir offen und ehrlich (und ohne Tabus) über alles miteinander sprechen konnten.

Und dass wir das konnten, hat mit Lebenserfahrung zu tun. Nicht meiner, sondern unser gemeinsamer! Wir leben seit über 20 Jahren zusammen. In der Zeit sind wir beide gereift und haben viele Krisen zusammen durchstanden. Jahrelang kriselte es, und es war reiner Zufall, dass wir uns damals nicht getrennt haben. Geheiratet haben wir erst nach 14 Jahren "Probezeit" - als wir beide die absolute Sicherheit empfunden haben, dass unsere Partnerschaft ein Leben lang hält; dass wir einander blind vertrauen und uns auf den anderen verlassen können - und zusammen alt und grau werden möchten.

Meine Frau und ich haben Depressionen. Seit ewigen Zeiten, und seit noch nicht so sehr vielen Jahren durch Medikamente gut im Griff. Ich habe sie oft genug am Boden liegen sehen, und sie mich. Meine Frau hat mir das Leben gerettet, indem sie mich vor ca. 7 Jahren in meiner akut suizidalen Phase (als mir alles egal war und ich stundenlang mit Vollgas über die Landstraßen gerast bin, immer auf der Suche nach dem "letzten" Straßenbaum) bei der Hand genommen und zum Psychiater und dann in die Klapsmühle gezwungen hat. Und ich habe ihr in ihren schlimmsten Phasen geholfen, so gut ich eben konnte. Das schweisst zusammen. Und gab irgendwann die Gewissheit, dass wir uns, was auch immer passieren mag, jederzeit absolut bedingungslos auf den anderen verlassen können.

Zitat:
älter und somit reifer
Das glaube ich nun wieder nicht. Lebenserfahrung und Reife ist keine Frage des Alters. Sondern macht sich daran fest, wie viele Krisen man durchlebt und wie man damit umgegangen ist. Lebenserfahrung macht man nach meiner Überzeugung nicht, wenn man im Urlaub ist und sich zufrieden die Sonne auf den Bauch scheinen läßt. Nee, die macht man, wenn etwas hart, bitter, traurig und extrem schwierig durchzustehen ist.

Meine Frau und ich und ihre Schwester (die selbt Brustkrebs hat) haben in den letzten Monaten und besonders in den letzten Wochen einen knallharten "Chrash-Kurs" in Sachen Lebenserfahrung machen müssen. Wir haben in dieser kurzen Zeit so viel erfahren und gelernt wie in vielen Jahren zuvor nicht.

Das ist genau das, was dir und deiner Mutter auch widerfahren ist. Und für mich ist es keine Frage des Alters, ob / wie Mensch solche Krisen meistert und vielleicht etwas daraus lernt.

Schon bei deinen ersten postings hier (damals in einem anderen Forum / thread) habe ich gespürt, dass du mit deiner Mutter zusammen diese schwere Krise bewältigen wirst. Weil du stark bist, aber deine Grenzen spürst. Und nicht zögerst, hier deine Probleme zu offenbaren und Hilfe (so wenig, wie man virtuell auch geben kann) anzunehmen. Und weil du "authentisch" bist. Du machst aus deinem Herzen keine Mördergrube, sondern legst die Karten zeitnah und offen auf den Tisch.

Ich bin dem lieben Gott (oder wer auch immer da oben ist) zutiefst dankbar dafür, dass er mir und meiner Frau die Fähigkeit zur Reflektion und Selbsterkenntnis mitgegeben hat. Und die Stärke, auch in schweren Situationen dem Schicksal ins Angesicht zu blicken und sich ihm zu stellen, statt in Panik davonzulaufen. Und diese Fähigkeiten und Stärken hast du auch, genau so wie deine Mutter. Deswegen habe ich dir schon vor langem hier größten Respekt gezollt. Und war überzeugt, dass du diese Krise meistern wirst. Und daran reifen und wachsen.

Scheissegal, ob du 23 oder 43 bist. Die Fähigkeit hast du jetzt schon, das hast du hier eindrücklich bewiesen. Und ich bin mir sicher, trotz allem Leid und aller Trauer, die jetzt herrscht... es ist langfristig gesehen gut für dich, so wie es gut für mich ist (der ich fast 20 Jahre älter bin als du). Du wirst daran wachsen, und du kannst in Zukunft so in Frieden weiterleben, wie deine Mutter in Frieden gehen konnte. Wenn du in x Jahren an das Sterben deiner Mutter und diese traurige Zeit zurückdenkst, wirst du dir sagen: Gott sei Dank habe ich mich dem gestellt, habe die Herausforderung angenommen und diese schwierige Phase gemeistert. So gut gemeistert, dass ich keine Schuldgefühle haben muss, mich nicht dauernd fragen muss, was ich hätte damals bloss anders / besser machen können. Nein, du kannst im Rückblick im Frieden mit dir selbst zurückschauen und sagen: Ja, es war extrem hart. Aber es war gut so, wie ich es gemacht habe. Ich habe nichts zu bereuen. Und deine Mutter wird dir von da oben zustimmen und sagen: "Genau, Susanne - das hast du so prima gemacht, besser hätte ich es mir gar nicht wünschen können!" Und weil das so ist, werden im Rückblick auf diese schwere Zeit bei dir die positiven Erinnerungen überwiegen. Weil du die negativen Dinge angegangen bist, als es an der Zeit war. Und sie bewältigt hast und deshalb "abgehaken" kannst.

Das ist keine Altersfrage. Schau dir deinen Vater an. Der wird auch mit 60 oder 80 nicht in der Lage sein, sich dem Leben zu stellen. Er ist vor dieser Krise davongelaufen, indem er sich zugeschüttet hat. Und das wird er auch weiterhin tun. Weil er die Bürde hat, sich Rest seines Lebens das Hirn zu zermarten, warum er unfähig war, seine Frau und Tochter in dieser schlimmen Zeit zu begleiten. Warum er nichts anderes konnte als zu streiten, zu saufen und anderen Vorwürfe zu machen. Damit muss er in Zukunft leben. Und er wird ganz beschissen damit leben. Das einzige, was sich für ihn ändert: er hat jetzt noch ein paar mehr Gründe dafür, sich tagtäglich zu besaufen. Weil er mal wieder versagt hat, und er das auch genau weiss. Und das kaum ertragen kann. Aber damit bis zu seinem Ende leben muss - und jedes Anzeichen von Selbsterkenntnis jedesmal erneut sofort mit Hilfe von Alk "wegdrücken" muss. In dessen Haut - in völliger Klarheit des eigenen Versagens - möchte ich nicht stecken. Dein Vater ist ein armes Schwein. Und wenn er als Alki nicht so widerlich, lästig und bösartig wäre, könnte ich fast Mitgefühl mit ihm empfinden.

Du aber bist ein authentischer, starker und liebenswerter Mensch! Das spüren alle hier im Forum. Und deswegen wirst du in Zukunft viel eher im Einklang mit dir leben können als viele andere. Und du wirst niemals alleine sein. Weil zu deiner Stärke auch gehört, Schwäche einzugestehen und Hilfe zu suchen, wenn es nötig ist. In die Offensive zu gehen, bevor es zu spät ist.

Deswegen bin ich nicht nur zutiefst überzeugt davon, dass du deinen Weg gehen wirst. Sondern dass du auch anderen künftig viel von deiner Lebenserfahrung und Reife abgeben kannst. Das ist sehr schön, und das ist ein großes Privileg. Wer auch immer dir diese Gabe (und ich glaube, es ist eine Gabe; und nicht etwas, was man nur "mit dem Kopf" lernen kann) verliehen hat - du kannst ihm zutiefst dankbar dafür sein.

Zitat:
Ich weiss, was Mama sagen würde
(...)
Meine Mama ist auch so gestorben, wie sie wollte.
(...)
Aber ich habe das hier, weil ich das will.
(...)
Ich trinke jetzt noch ein Glas Wein.
Genau das meine ich. Du hast deine Mutter begleitet, in ihrem Sinne, so wie sie sich das gewünscht hat. Du konntest ihr dabei helfen, dass ihr letzter Wunsch erfüllt wurde. Und was du in den letzten Monaten getan hast, und wo du selbst oft am Ende deiner Kraft warst... das war nicht nur für deine Mutter wichtig, sondern auch für dich selbst.

Und deshalb hast du es dir verdient, in Ruhe ein Glas Wein (und künftig noch viele weitere) zu trinken - und dabei ohne Reue und Bitterkeit an das Sterben und den Tod deiner Mutter zu denken. Sondern mit der Gewissheit, dass du das genau richtig gemacht hast, so wie deine Mutter es sich wünschte.

Und wenn du deiner Mama zuprostet und sie fragst: "Na, Mama, wie habe ich das gemacht?". Dann weisst du, dass sie dir immer antworten wird:

"Super! Susanne, ich bin stolz auf dich!"

Viele Grüße,
Stefan
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  #10  
Alt 08.01.2009, 16:56
*Anoli* *Anoli* ist offline
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Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Hallo Stefan,

bin so ganz 'zufällig' hier gelandet und habe gerade deine Beiträge gelesen. Es gefällt mir ausgesprochen gut, wie du deine Erfahrungen mit dem Leben und dem Sterben so treffend in Worte gefasst hast. Hatte dabei stellenweise das Gefühl, daß mir da jemand aus der Seele gesprochen hat.
Vor allem gefällt mir, daß du den Humor und das Lachen auch so schön neben dem Weinen und der Traurigkeit stehen lassen kannst, das ist halt eben genau das, was unser Leben ausmacht.
Auch meine Erfahrungen mit den schwierigen Zeiten im Leben sind mir besonders wertvoll, es waren Aufgaben um daran als Mensch zu wachsen.
Das ist es auch, was hier in diesem Forum so besonders hervorkommt. Hier braucht niemand eine 'Fassade' aufrecht zu halten, Mitgefühl und Beistand sind hier keine leeren Worte. Für mich 'tobt hier das Leben', denn auch und gerade Sterben, Loslassen und der Umgang damit bringt uns Menschen dem Leben erst wirklich nah.

Alles Gute für dich,
Ilona

@ Susanne:

Da ich natürlich gesehen habe, daß du heute Geburtstag hast möchte ich dir natürlich ebenfalls ganz liebe Wünsche dalassen und ganz herzlich gratulieren.



Das Leben ist eine Herausforderung. Wir nehmen sie an.
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  #11  
Alt 08.01.2009, 16:58
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Birgit4 Birgit4 ist offline
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Beiträge: 1.297
Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama




Liebe Susanne ,
auch von mir alles erdenglich Liebe zum Geburtstag......du bist ein Engelchen hier auf Erden.
Ich umarme dich ganz lieb.....und ich bin sehr stolz auf dich.....was du alles für deine Mama getan hast.
Schönene Abend noch mit deinem Schatz.
Deine Birgit
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