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  #1  
Alt 31.07.2006, 23:29
nordisch nordisch ist offline
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Unglücklich Ein Jahr ist nichts.

Noch 30 Tage, dann ist es soweit – der 29.8, dann ist es genau ein Jahr her. Ich kann es nicht glauben, bei mir ist es noch nicht angekommen.

Ein Jahr ist soviel. Doch noch immer sage ich „5“ statt „4“, noch immer sage ich „da muss ich Papa fragen“, noch immer denke ich „Papa macht das schon“ – noch immer warte ich darauf das Papa endlich wiederkommt.

Ich weiß es wird nicht so sein – es kann nicht so sein, doch angekommen ist es nicht.

Sechs Jahre haben wir abschied genommen, sechs Jahre, keine kurze Zeit, doch es war nicht genug.

Die Geburtstage fangen nun an, es scheint alles wie immer, aber einer fehlt. Mein Vorbild. Der Mensch, der mir soviel bedeutet hat und nun nicht mehr da ist, der, der mir nun nicht bei meiner Berufswahl helfen kann, dabei brauche ich seinen Rat so sehr. Der Mensch, der nicht mehr 50 werden durfte sondern nur 49.
Der erreicht hat, was er erreichen wollte, der nie gefragt hat „warum ich“. Der lebte obwohl er geleidet hat.

Mein Papa.

Die Familie, ist Tod. Wir leben, aber keiner meldet sich.

Drüber reden kann niemand. Ich möchte aber drüber reden, denn ich bin stolz auf meinen Papa und auf alles was er erreicht hat. Aber es ist ein Tabu.

Noch immer sagen alle „deine Eltern“ ich sage nicht, dass es die nicht mehr gibt. Noch immer sagen alle „Mutter oder Vater“.

Eigentlich läuft auch alles, aber immer fehlt was. Es kommt immer wieder „erstmal zu Papa“. Aber es geht nicht.

Ich weiß, es war besser so, ich habe es Papa gewünscht.

Wir, meine Brüder und ich sollten in Therapien gesteckt werden. Es sei doch besser für uns. Alle wussten, was gut für uns ist. Aber niemand hat mit uns geredet. Wir wollten keine Therapie, die hätte unseren Papa nicht ersetzen können.

Wir haben unser Leben wieder gefunden, das Leben, das nicht aus „Papa geht’s schlecht“ besteht. Aber es ist nicht dasselbe wie vorher.
Der Grabstein kam vor 2 Monaten, es ist komisch, den Namen zu lesen und sich vorzustellen, wer da unten liegt, es ist komisch, wenn andere von ihren Vätern erzählen.

Eigentlich ist nichts mehr wie es war, Mama ist hektisch geworden, redet nicht mehr viel mit einem, nur eins ist wie immer.. Die Bienen, die Leben noch. Die letzte sorge „aber was wird dann aus den Bienen, wenn ich nicht mehr bin“ Sie leben!
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  #2  
Alt 01.08.2006, 14:58
Anemone Anemone ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo liebe(r) nordisch,
es tut mir so leid, dass du deinen lieben Papa nicht mehr hast, der nur 49 Jahre alt werden durfte. Dass keiner mit darüber reden möchte, ist traurig, aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen im Gespräch schnell auf ein anderes Thema umschwenken, wenn ich gerne etwas von meinem lieben Mann erzählen will, der vor einem halben Jahr seinen tapferen Kampf gegen den Krebs verloren hat.
Ich habe mal eine Bekannte daraufhin angesprochen, und sie meinte, sie möchte mich nicht daran erinnern, dass ich nun alleine bin. Daran braucht man nun wirklich nicht erinnert zu werden!! Ich schlafe mit diesem Gedanken ein und wache damit auf.
Liebe(r) nordisch, wenn du gerne reden willst, bist du hier im richtigen Forum. Schreib dir einfach deinen Kummer von der Seele, das hilft meistens ein wenig. Außerdem kannst du sicher sein, dass hier immer einer zuhört, bzw. liest und dich versteht. Sicher hast du schon festgestellt, dass hier alle um einen lieben Menschen trauern - Mama, Papa, Ehemann, Ehefrau, Kind. Ich weiß, dass dich das nicht wirklich trösten kann, aber vielleicht hilft es dir doch ein wenig. Fühl dich mal von mir herzlich umarmt, ich wünsche dir und deiner Familie viel Kraft, Mut und Zuversicht.
Liebe Grüße,
Anemone
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  #3  
Alt 01.08.2006, 20:42
nordisch nordisch ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Danke für deine Antwort, ich bin hier nun auch schon eine Weile. Habe nach Papas Tod aber Abstand zu dem Thema gesucht, bzw hatte das Gefühl das ich hier nichts mehr zu suchen habe.. Neulich habe ich mich rangetraut ein Teil meines alten geschriebenes zu lesen:
http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...highlight=berg
http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...highlight=berg
eigentlich hab ich mich das nie getraut, es viel mir schwer, das alles nochmal zu lesen, aber ich wollte und ich denke das es gut war.
Nun bin ich wieder hier ab und zu hab ich hier reingeguckt, hab aber nichts geschrieben.
Mama arbeitet nun in einer Krebspraxis, an den Tagen ist sie immer fertig, deswegen wollte ich Abstand zu dem Thema, aber ich glaube, dass dies nicht möglich ist.
Schließlich drehten sich 6 Jahre meines Lebens darum, schon mit 13/14 musst ich damit rechnen das Papa stirbt, ich denke das hat einen schon geprägt.. Aber man merkt es nun bei allen wenn ich sage "Papa war ja auch so und so" wechseln alle das Thema, das ärgert mich.
Soll ich nun nie wieder was über Papa sagen?
Das kann es doch nicht sein und gerade nach einem Jahr sollten doch auch andere wissen, das man in der Lage ist drüber zu reden ohne gleich in Tränen auszubrechen, wobei ich seitdem ganzen erst einmal wieder geweint habe, das konnt ich ja nicht mal auf der Beerdigung..
Die letzte Zeit mit Papa war einfach so viel Wert, ich würde so gerne davon erzählen aber es geht ja nicht.
Und immer sagen alle "ihr müsst eurer Mutter helfen" lustig... Das ist einfacher gesagt als getan, die hört einem überhaupt nicht mehr zu. Macht uns grundlos an.. Wir können tun was wir wollen, es ist eh falsch und dann hört man von allen "das müsst ihr doch verstehen, sie hat ihren Mann verloren, das ist noch nicht lange her" und was, was ist mit uns? Wir haben unseren Vater verloren, zählt das nicht? 6 Jahre war es Papa nach den alle gefragt haben, wie es ihm geht, nun ist es Mama und was ist mit uns? Wie geht es uns? Wir werden nicht gefragt. Wir sind ja nur die Kinder, für die ist es normal Eltern sterben zu sehen, ist doch egal in welchem Alter.
Ich vermisse ihn so sehr.
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  #4  
Alt 01.08.2006, 21:05
Benutzerbild von Petra_S
Petra_S Petra_S ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo Nordisch,
ich habe früher schon von dir gelesen, nun "sehe" ich dich wieder hier. Ich habe drei Töchter jetzt 22,21 und 18, ihr "seelischer Papa" mußte uns vor fast 17 Monaten verlassen. Seelischer Papa, weil es nicht ihr leiblicher Vater war, aber alle drei haben ihn in ihren Herzen so lieb, wie man einen Papa nur lieb haben kann. Und auch er hat sie als seine Töchter gesehen.

Ich finde es sehr schlimm, dass keiner mit dir über ihn sprechen will/ kann. Bei mir selbst merke ich auch, dass die Umwelt es nicht mehr so als "vorrangiges Thema" ansieht. Er war 41 und meine große Liebe. Nur meine Mädchen können ermessen, was er uns bedeutet hat, was er uns gegeben hat. Wie geht es ihnen? Wie geht es den Kindern? Sie vermissen ihn, seine SMS, seine Nachfragen "...wie war die Prüfung?", seine Witze und die Freude in seinen Augen, wenn er mal wieder nicht an einem neuen Duftpröbchen in der Drogerie vorbei konnte, ohne ihnen was mit zu bringen, eine rauchen unter dem Sternenhimmel, ewig lange Gespräche über alles was bewegt (manches was Muttern nix angeht ) usw. Warum kann deine Mama nicht mit dir über ihren Mann reden? Noch dazu, wenn sie in einer Krebspraxis arbeitet, da ist dieses Thema doch immer präsent?!

Nordisch, wie war dein Papa? Lebhaft oder ruhiger Zuhörer? Treibender oder ruhender Pol in der Familie? Was hat dich am meisten belastet in der Zeit der Krankheit? Ich würde mich freuen, wenn du mir aus Sicht des Kindes erzählen würdest, denn vielleicht habe auch ich nicht alles wahr genommen, was meine Kinder betraf aus eigenem Schmerz heraus?!!

LG Petra
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  #5  
Alt 01.08.2006, 21:40
babs61 babs61 ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo nordisch,
ich habe interessiert Deinen Bericht gelesen. Es stimmt, nach den Kindern wird recht selten gefragt.

Ihr Vater (16 und 20 Jahre) und mein Mann ist am 15. Juni diesen Jahres mit 44 Jahren an SpRK gestorben..... friedlich eingeschlafen.
Auch ich denke wie Petra, die Kinder werden unberechtigter Weise mit ihrem Schicksal "alleingelassen", Therapie ja ..... reden in der Familie nein!!

Hier die Beispiele unserer Söhne: Der älteste wohnt seit April nicht mehr zu Hause und zeigte nie seine wahren Gefühle während der Krankheit. Er war vom Tod seines Vaters tief betroffen. Da er selten daheim ist, sind die Gelegenheiten zum Reden dementsprechend. Er ruft jedoch sooft er kann an und möchte wohl damit den engen Kontakt mit mir intensiveren. Ich denke mir oft, dass er einiges aus der Vergangenheit bereut.

Der Jüngste geht ganz anders mit seiner Situation um, er erwähnt oft seinen Papa und versucht zu werden wie er und schuftet nach der Arbeit im und am Haus und hält die Autos in Schuß. Er sagte mir, dass für ihn nun ein neues Leben beginnen würde, sein altes gäbe es nicht mehr.

Dein Beitrag animiert mich zum umdenken..... vielen Dank hierfür.

Ich wünsche innig, dass es Dir ein wenig hilft, wenn Du Dir hier im Forum alles vom Herzen schreiben kannst.

Liebe Grüße Bärbel
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  #6  
Alt 01.08.2006, 22:55
nordisch nordisch ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo Petra,
ich glaube wir hatten zu der Zeit sogar schon mal miteinander geschrieben?!
Ich freue mich über deine Antwort.. Ich habe mich oft gefragt wie es den anderen geht, die zu "meiner Zeit" auch hier waren, aber wollte einfach nicht hierher gucken, aber ich glaub, viele sind auch gar nicht mehr aktiv?

Mein Papa, mmh, war ein Arbeitstier, er liebte arbeiten, wurde arbeitslos und bekam Krebs... Er war ein Einzelgänger und wir 4 waren alles für ihn und seine Tiere und sein Bruder, mehr gab es eigentlich nicht in seinem Leben. Noch den Rest der Familie und einige wenige Freunde aber die bedeutedem ihm nciht so viel. Sein Aquarium war alles für ein, seine Liebe, sein stolz, ein 1000 oder 1500L Becken, Meerwasser, es war ein Traum, ich durfte es pflegen wenn er weg war, dann die erste Chemo und alles ging kaputt, über die Hände strahlte irgendwie was davon ins Becken und die Tiere starben, Papa hat es sich nie verziehen, seine Tiere...
Er wollte immer das Beste für uns, was wir leider nicht ganz so sehen.. "Zieht Hausschuhe an"
Papa und ich haben uns oft angezickt, weil wir beide Sturköpfe waren und uns sehr ähnlich sind. Oft saß er Nachts, wenn ich nach Hause kam noch im Wohnzimmer, wir hörten dann noch zusammen Musik und unterhielten uns über alles.. (z.B. haben wir auch da das Lied gehört "time after time" er sah mich an und sagte "dabei möchte ich beerdigt werden") Überhaupt hörten wir oft zusammen Musik oder blieben wach um irgendwelche Konzerte im Fernsehen zu sehen, saßen Stunden zusammen vorm PC er hat mir alles beigebracht, ich fühlte mich im Stich gelassen weil er immer sagte "mach selber" dabei wollte er nur das ich es lerne..
Als er krank wurde, hab ich immer mehr gemerkt was für einen tollen Papa ich habe, ich hätte alles für ihn getan.
und das hab ich auch und das wußte er.
Er hat mich für meine stärke in der Zeit bewundert, weil ich mir nie anmerken liss wie schrecklich er aussah.. Mein Brüder konnten ihn ja teilweise nicht mehr angucken..
Am meisten hat es mir wehgetan, was er mir gesagt hat, weil ich gemerkt habe was ich alles verliere... Es tat so weh "ich bin stolz auf dich" "was machen die armen Schweine die nicht so eine Tochter haben".. Ich fands schrecklich.
Und den Tod. Ich krieg die Bilder nicht aus meinem Kopf, wie die Augen sich wegdrehten, das Atmen die Geräusche.. Wenn jetzt irgendwelche Personen die Augen verdrehen, bekomme ich Gänsehaut.
Ich habe mit Papa sehr viel übers sterben geredet. Das tat mir gut.
Aber ich erinner mich nun mehr an die letzte Zeit mit Papa, als an die Zeit ohne Krankheit.
Wir wollten noch zusammen Pink Floyd über die Dolpy-Anlage hören, wir haben es nicht geschafft. Das sind so Sachen die mir immer wieder einfallen.
Ausserdem gibt es Tage die mich tierisch ankotzen, bzw ich merke wie ich mich zurück ziehe, ganz regelmäßig, ich lasse keinen an mich ran, alle regen mich auf - was wissen die schon von Problemen?!
Ich mag das selbst nicht an mir, aber vielleicht ist das normal?
Wenn ich diese "tiefs" habe, fahre ich zum Friedhof und höre Papaslied, dann gehts mir wieder besser.
Alltägliche Probleme anderer, ärgern mich, ich zeige es nicht, weil ich weiß wie ungerecht es ist, aber innerlich bin ich stinke sauer.
Das Verhältnis zu meinen Brüdern ist sehr viel besser geworden, wir hatten immer ein gutes Verhältnis, aber nun.. ich wüßte nicht was ich ohne sie tun würde, wir holen uns immer wieder gegenseitig hoch..
Mein großer Bruder (in 3 Tagen 22) hat nun den Ordnungswahn von Papa übernommen, mein kleiner (in 16 Tagen 18) hilft Mama im Garten und ich.. mmh das weiß ich gar nicht.
Meine Tante meinte, sie müsse mich immer angucken weil ich genau dieselben Gestiken wie ihr Bruder hätte - also mein Papa. Sowas ärgert mich auch, es freut mich aber.. Ach ich weiß auch nicht.
Das Jahr jetzt, ich kann es gar nicht beschreiben, es ist so viel passiert und irgendwie nichts, ich erwische mich bei jeder Klausur dabei, wie ich irgendwie das Thema Tod, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Halbwaise(nrente) einbringe, in wirklich jede Klausur.
Mein Zeugnis ist schlecht. Dabei war es mein Ziel ein gutes Abi zu machen um Informatikerin zu werden - wie Papa - mit ihm - ohne ihn will ich es nicht mehr. Aber bei allem was ich tue, frage ich mich "was würde Papa nun sagen", dadurch fällt einem überhaupt erst auf, wie wichtig die Meinung für einen war, das war mir vorher nie bewußt.
Die Schule ist für mich eh zum Herror geworden, ich weiß das viele immer denken "die bei der, der Vater gestorben ist" nicht wissen wie sie mit mir umgehen sollen, die Lehrer... Wie es mich ankotzt.
Ich vermisse es mit Papa und unserem Hund spazieren zu gehen, der auch immer älter wird (14) und irgendwie das letzte "Papa" ist. Unser Kater ist genau einen Monat nach Papa gestorben, mit einem Jahr - er war Papas Geburtstagsgeschenk, vom Jahr davor, damit er nicht immer alleine ist...
Ich vermisse sein freches Grinsen, seine Lache, sein "Haargedreh" er konnte nicht an mir vorbeigehen ohne mein Haar an einem Finger aufzuwickeln. Ich vermisse sogar sein Gemecker, die Blumen die er mir gekauft hat, weil er dann doch ein schlechtes Gewissen hatte, immer Alpenveilchen, ich habe sie noch und sie blühen , ich vermisse sein ungeniessbares Essen - er konnte wirklich nicht kochen, war aber immer stolz "ist sogar vegetarisch", sein "ich hab den Staubsauger in dein Zimmer gestellt" oder seine Briefe aus der Kur, sein morgendliches Rollo hochziehen, wenn man Nachts spät nachhause kam, aber die Blumen brauchen ja Licht, ich hätte jedes mal schreien können und nun vermisse ich es, seine kleinen Späße --> Vogelhirse "du bist ja nun ein Körnerfresse", sein lustig machen über Mama, wenn sie unserer Meinung nach spinnte, die Abende bei meiner Oma, sein Drücken, das Einkaufen - es sprang immer was für uns raus... Eigentlich alles.

Und ich habe Angst, Papa hatte einen Tag vor mir Geburtstag, wir sind beide Waage und hatten bis jetzt alles gleich, ständiges Nasenbluten, eigentlich immer gesund, wirklich immer, ich habe angst das es bei mir auch so wird. Gesund und dann diese Krankheit. Ich könnte nicht kämpfen.

Ich glaube Mama würde sogar mit uns reden, aber meistens fängt sie dann an zu weinen, was es einen nicht gerade leichter macht. Die Arbeit in der Praxis tut ihr - meiner Meinung nach - nicht gut. Jeden Mittwoch erzählt sie von den Patienten und man merkt wie nah es ihr geht, meistens fängt sie dann auch an zu weinen und meckert rum. Es ist wirklich so jeden Mittwoch machen wir alles falsch. Sie arbeitet nur neben ihrer eigentlich arbeit (Behindertenlehrerin) dort, sie wertet die statistiken aus, von Testpatienten und meint vieles würde nicht ordentlich genug geführt werden...

Ich könnte ewig schreiben, aber nun hol ich erstmal Luft.
Danke.
Und Petra, wie geht es dir denn jetzt?
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  #7  
Alt 02.08.2006, 22:34
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Petra_S Petra_S ist offline
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo liebe Nordisch,

ich glaube wir hatten zu der Zeit sogar schon mal miteinander geschrieben?!
Ja, ein paar mal haben wir geschrieben – ich glaube du bist jetzt 21 ? In dieser Zeit hattest du glaube ich auch noch ein anderes Foto von dir hinterlegt?! Du hast mich schon immer an meine Mädchen erinnert und mir geholfen, die Welt mit ihren Augen zu sehen.

Ich finde es richtig schön wie du von deinem Papa schreibst. Mit den Hausschuhen, dass kommt mir sehr bekannt vor! Meine Weiberchen sind immer in Socken auf der Holztreppe ausgerutscht – eine hat sich bald mal die Wirbel gebrochen…, was habe ich gemeckert „langsamer gehen, Hausschuhe an….“ – jaja diese Eltern ! Weißt du, ich war auch wie mein Vater, ich habe ihn verloren als ich 24 Jahre war (da hatte ich auch schon alle drei Mädels u. war verheiratet!!! ). Mein Vater war auch ein oller Sturkopf, war aber mächtig stolz, dass er mich auch zu einem erzogen hat. Das hat er natürlich nur höchst selten zugegeben (kann man ja als echter Sturkopf nicht machen – ne?!)

Oft saß er Nachts, wenn ich nach Hause kam noch im Wohnzimmer, wir hörten dann noch zusammen Musik und unterhielten uns über alles.. (z.B. haben wir auch da das Lied gehört "time after time" er sah mich an und sagte "dabei möchte ich beerdigt werden") Überhaupt hörten wir oft zusammen Musik oder blieben wach um irgendwelche Konzerte im Fernsehen zu sehen, saßen Stunden zusammen vorm PC er hat mir alles beigebracht, ich fühlte mich im Stich gelassen weil er immer sagte "mach selber" dabei wollte er nur das ich es lerne.. Bei diesen Zeilen sind konnte ich verliebt lächeln, natürlich auch traurig, aber es sind sehr, sehr schöne Erinnerungen – so lief es bei uns auch ab mit meinem Liebsten. Oft hat er mit einer unserer Töchter gesessen und geredet, als es schlimmer wurde, nicht mehr so viel geredet, aber er wollte uns immer noch so viel zeigen/ lernen – wenn er dann nicht mehr da wäre. Ich wollte das nicht lernen, ich dachte, nein, dass soll er machen, ich will das nicht wissen – es war als könnte er dann gehen wenn ich es gekonnt hätte und das wollte ich natürlich nicht!

Als er krank wurde, hab ich immer mehr gemerkt was für einen tollen Papa ich habe, ich hätte alles für ihn getan.
Bei uns waren es : lange Nachtgespräche mit Nadine im Wohnzimmer über Liebe, Enttäuschung, und was die Welt bewegt und tiefer Zuneigung. Besonders freute er sich über Nadine´s Spontanbesuche im Krankenhaus, auf eine Kaffe- oder Zigarettenlänge – welche dann nicht selten 2 Std. dauerten. Wer von beiden mehr erzählte blieb unentschieden.

Sensibel und behutsam registrierte unser Stolli die Interessen und Sorgen und konnte mit viel Gespür für den Moment Vertrauen gewinnen. Musik, Sport und gesunde Ernährung waren zwischen unserer zweiten Tochter, Charly und ihm die gemeinsamen Themen. Auch als Charly zum Studium ging, riss ihr Kontakt nicht ab. Lustige Karten, Anrufe, SMS und kleine Aufmerksamkeiten erhielten die Nähe zueinander.

Seine Suse, das Küken aus dem Hühnerstall – viele Fragen, Hausaufgaben und Erklärungen. Mit endloser Geduld beantwortete unser Liebster jede Frage (auch die, die noch nicht gestellt war) und eroberte ihr Herz im Sturm. Verschlossene Küchentür – Verschwörung der Heinzelmännchen – strahlend präsentierten beide einen leckeren Braten oder eine strahlend aufgeräumte Küche. Nicht selten wusste er den Stundenplan und die Schulnoten besser als ich. Als einziges noch zu Hause wohnendes Kind war Suse die engste Verbündete im Kampf gegen Schmerz, Traurigkeit und lange Tage in den vergangenen Krankheitsmonaten. Gespräche und gemeinsam Musik hören


Und den Tod. Ich krieg die Bilder nicht aus meinem Kopf, wie die Augen sich wegdrehten, das Atmen die Geräusche.. Wenn jetzt irgendwelche Personen die Augen verdrehen, bekomme ich Gänsehaut.
Ich muss gestehen, ich weiß nicht wie sehr die letzten Tage meine Mädchen noch belasten, als er einschlief, war ich mit ihm allein und es ging sehr ruhig vor sich. Nichts von dem was du von deinem Papa geschrieben hast, aber viele Tage vorher war es eine unmenschliche Qual, auch seelisch für ihn und uns. Über das Sterben haben wir nur kurz geredet, es dann aber meist alle wieder weggeschoben, keiner wollte davon reden – er selbst am wenigsten.

Wir wollten noch zusammen Pink Floyd über die Dolpy-Anlage hören, wir haben es nicht geschafft. Dein Papa war unserem sehr ähnlich, auch er hat noch eine Anlage gekauft und wollte „ordentlich „Musik hören….Sehr traurig war er, dass er nicht in das Deutschland-Konzert von Rush, voriges Jahr konnte, er sagte „…dann werde ich sie nie life erleben!“

Das Jahr jetzt, ich kann es gar nicht beschreiben, es ist so viel passiert und irgendwie nichts,- Alles was du so von dir und deinen Gefühlen schreibst kenne ich von meinen Weiberchen, leider weiß ich aber auch nicht wie ich ihnen helfen soll. Es ist so schwer für sie richtige Freunde zu finden, da sie ja durch Ausbildung, Beruf und Studium überall neu anfangen müssen. In der Gesellschaft, gerade auch in euerm Alter ist vieles so oberflächlich, ich dachte schon oft, vielleicht sollten sie sich Freunde suchen, die auch ähnlich Schweres erlebt haben – evtl. hier übers Forum. Wie sollt ihr eure „Unschuld“, eure „Unbeschwertheit“ zurück holen, nach allem was ihr erlebt habt?! Ich weiß wirklich nicht, wie ich es ihnen leichter machen könnte.
Ohne deinen Papa willst du kein Informatiker mehr werden…, ja das glaube ich wolltest du doch MIT IHM ZUSAMMEN dieses Gebiet erobern…! Und nun liebe Nordisch, was möchtest du nur für dich entdecken? Was kannst du besonders gut? Vielleicht hat dir die schwere Vergangenheit auch Eigenschaften Fähigkeiten mitgegeben, die dir in deinem weiteren Leben nützlich sein können?! Auch ein Aspekt, warum sich deine Mutter die Arbeit in der Krebssprechstunde antut, vielleicht will sie das tun, was sie selbst vermisst hat, als dein Papa krank war? Oder hat sie so das Gefühl an ihm etwas wieder gut zu machen, was sie glaubt versäumt zu haben?

Ich vermisse sein freches Grinsen, seine Lache, sein "Haargedreh" er konnte nicht an mir vorbeigehen ohne mein Haar an einem Finger aufzuwickeln. Ich vermisse sogar sein Gemecker, die Blumen die er mir gekauft hat, weil er dann doch ein schlechtes Gewissen hatte, immer Alpenveilchen, ich habe sie noch und sie blühen , ich vermisse sein ungeniessbares Essen - er konnte wirklich nicht kochen, war aber immer stolz "ist sogar vegetarisch", sein "ich hab den Staubsauger in dein Zimmer gestellt" oder seine Briefe aus der Kur, sein morgendliches Rollo hochziehen, wenn man Nachts spät nachhause kam, aber die Blumen brauchen ja Licht, ich hätte jedes mal schreien können und nun vermisse ich es, seine kleinen Späße --> Vogelhirse "du bist ja nun ein Körnerfresse", sein lustig machen über Mama, wenn sie unserer Meinung nach spinnte, die Abende bei meiner Oma, sein Drücken, das Einkaufen - es sprang immer was für uns raus... Eigentlich alles. – Du hast einen sehr, sehr sympathischen Papa! Ich schreibe mit Absicht „hast“ ;
Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter. (Rilke)

Und ich habe Angst, Papa hatte einen Tag vor mir Geburtstag, wir sind beide Waage und hatten bis jetzt alles gleich, ständiges Nasenbluten, eigentlich immer gesund, wirklich immer, ich habe angst das es bei mir auch so wird. Gesund und dann diese Krankheit. Ich könnte nicht kämpfen. – Oh, dieser Geburtstag, ja das ist natürlich jedes Jahr wieder sehr schwer! Versuch nicht so weit ihn die Zukunft zu sehen, JETZT bist du gesund und wenn dir einer gesagt hätte, welche schwere Krankheit dein Papa durchstehen muss, dann hättest du sicher nicht für möglich gehalten, dass ihr das durchstehen würdet. Liebe Nordisch, versuche im HEUTE zu bleiben, lass dich nicht von den Gespenstern der Zukunft verrückt machen, keiner weiß was in seinem Leben noch auf ihn zu kommt.

Ich glaube Mama würde sogar mit uns reden, aber meistens fängt sie dann an zu weinen, was es einen nicht gerade leichter macht.
Ja, das kann gut sein, dass das passiert, aber warum ist das so schlimm? Leicht ist es nicht, aber wie kann es das auch? Vielleicht redet sie deshalb nicht, weil sie es dir/ euch nicht nnoch schwerer machen will? Mir kommen auch die Tränen und es liegt doch aber daran, dass es soooo schön war mit ihm und ich ihn auch soooo vermisse und ihn dafür liebe, dass die Weiberchen ihn so vermissen und lieben! Verstehst du? Bei uns war/ ist ? es auch so, dass wir gegenseitig Angst hatten uns runter zu ziehen und dann doch lieber jeder versucht hat mit seinem Kummer allein fertig zu werden. Aber das geschah nicht aus Mangel an Vertrauen, sondern aus Rücksicht, weil die man den anderen nicht aufwühlen wollte, doch so blieb jeder mit seinen Gedanken allein…

So, das wars für heute erst mal, ich hoffe ich habe dich nicht zu sehr „voll gequatscht“! Schlaf gut und hab noch mal vielen Dank für dein Vertrauen, deine liebevollen Erzählungen über deinen Papa! Liebe Grüße Petra
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  #8  
Alt 30.08.2006, 00:03
nordisch nordisch ist offline
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Petra, danke für deine Antwort, ich werde morgen mehr dazu schreiben, kam in den Ferien nur leider nicht dazu und möchte nun nur ganz kurz was los werden.

Heute ist der 29. und genau um 19:30 - Papas Sterbezeit, war ein riesen Regenbogen am Himmel, das war echt der Wahnsinn.
Es passte so gut und Mama scherzte vorher noch "fast genau halb acht, na gleich haben wir noch einen Regenbogen" und wirklich nur einige Minuten später war er da, genau ein Jahr nach der Erlösung.
Das war schön.
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  #9  
Alt 30.08.2006, 08:07
Benutzerbild von Petra_S
Petra_S Petra_S ist offline
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Liebe Nordisch,
das finde ich aber super - dein Papa wußte wohl sehr genau, womit er euch/ dir ein Zeichen geben kann, welches dir diesen furchtbaren Tag erleichtert ! Es ist schon merkwürdig, erst fürchtet man sich vor etwas ganz schrecklich und dann passiert so was und man muss sogar lächeln ! ...verrücktes Leben oder ?!
Bis später - Petra
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