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Alt 02.11.2008, 21:20
viermalmama viermalmama ist offline
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Beitrag Er nahm mir die Angst davor

Er selbst gab uns die Kraft dafür!
Mein Papa starb vor 10 Wochen an Lungenkrebs. Besser gesagt an Asbestkrebs. Im nachhinein können wir eigentlich „froh“ sein das dies als Berufkrankheit anerkannt ist, denn so wurden meinem Papa Hilfen zu teil die er mit „normalem“ Krebs , nicht oder nur sehr schwer bekommen hätte. Aber davon vielleicht ein anderes mal und an anderer Stelle. Bitte entschuldigt das ich keine Fremdwörter benutze. Zum einem hat mich der Fachbegriff nie wirklich interessiert und zum anderen ist es so auch für Laien verständlicher.

Vor fast vier Jahren stellte man bei meinem Vater Asbestkrebs fest. Zu diesem Zeitpunkt prognostizierten sie ihm noch eine Lebenserwartung von 3 Wochen bis zu 6 Monaten. Eine OP kam nicht mehr in Frage. Die Metastasen in der Lunge und am Zwergfell waren schon zu ausgeprägt. Dies war für uns alle eine niederschmetternde Diagnose. Mein Papa... der nie ernsthaft krank war... immer lächelnd... eher für alle anderen ein Trost und nun plötzlich Hauptdarsteller in diesem Drama.
Es vielen Wörter wie „unheilbar, sterben, leiden, ersticken! Aber in meinem Kopf hörte ich immer nur...Er lässt mich im Stich, er lässt mich allein. Die ersten Wochen danach waren, glaube ich, die Schrecklichsten. Keiner von uns (Meine Mutter und Geschwister) konnte mit ihm zusammen sein ohne bei jedem Husten panisch zusammenzuzucken . Aber komischerweise war ER wie immer. Er hatte keine Schmerzen , veränderte sich auch äußerlich anfänglich nicht. Ich hatte allen Grund diese Krankheit Stück für Stück zu vergessen. Alles war ja fast wie immer. Die erste Chemo brach er nach 5 Tagen ab. Eine sehr heftige Pilzinfektion im Mund und Magen führten dazu das er gar nicht mehr essen und trinken konnte. Dazu gesagt sei das mein Papa eher schon immer zu den sehr schlanken Menschen gehörte. Bei einer Größe von 164 cm wog er anfangs noch ca 47kg. Na gut. Eine von der Berufsgenossenschaft finanzierte Kur (alle Kosten meiner Mutter wurden ebenfalls übernommen) an die Ostsee bekam meinem Dad sehr gut. Er kam erholt, gebräunt und mit einem Kilo mehr als zu Beginn der Reise nach 4 Wochen zurück. Die 2. Chemo wurde nach der 3. Sitzung abgesetzt . Wieder Pilz, noch schlimmer als beim ersten Mal.. Im ersten Winter nach der Diagnose dann bekam mein Vater eine starke Lungenendzündung. Es ging ihm zusehends schlimmer. Wir dachten wohl alle das er nun sterben würde. Aber mein Papa ist ein Stehaufmännchen. Nach 3 Wochen im Krankenhaus ging es ihm wieder besser. Gewicht. 44kg!
Die 3. Chemo im Frühjahr 2006 konnte beendet werden. Er litt sehr in der Zeit. Und oft fragte ich mich wofür er das alles über sich ergehen lies. Es könnte ihn eh nicht retten. Vielleicht sein Leben verlängern, aber nicht retten. Und das einzige was ihn „krank „ machte war die Chemo!Die darauffolgende Kur an der Ostsee war nicht so erholsamm Er nahm ab. 2007 ging es dann noch mal auf Kur. Diesmal in die Berge. Er fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr. ...... Und er machte schon Pläne für´s nächste Jahr. Aber kurz nach der Kur begann dann der Krebs seinen Vormarsch. Ich muß dazu sagen das wir alle eigentlich nie über “Krebs“ gesprochen haben. Mama klagte nur wenn sie mit uns allein war. Er isst nicht mehr richtig, er trinkt viel zu wenig usw. Papa saß immer an seinem gewohnten Platz im Wohnzimmer wenn wir kamen. Er lächelte immer, aber langsam sah man es ihm an. Im Frühjahr 2008 war sein Gewicht auf 41 kg runter. Er ging auch kaum noch aus dem Haus. Die Kur für den Juli wurde abgesagt.
Mama klagte das Papa nicht mehr die Kraft hätte zu laufen, er es aber nicht war haben wollte. Auch das Atmen viel ihm viel schwerer. Im Juni bekam er ein transportables Sauerstoffgerät und einen Rollstuhl. Im Juli war er dann schon 24 Stunden rund um die Uhr an den Sauerstoff angeschlossen. Ende Juli fiel er dann bei dem Versuch nachts allein aufzustehen aus dem Bett. Ein Pflegebett mit Sicherheitsgitter sollte ihm, aber auch meiner Mutter nachts mehr Sicherheit geben. Auf Anraten der Berufsgenossenschaft wendeten wir uns an einen Homecare-Arzt. Dies sollte sich noch als ein Segen rausstellen. Anfangs alle 3 Tage, ab ende Juli täglich kam nun dieser nette Arzt zu Papa! Er wusste alles über seinen Krankheitsverlauf. Und er war auch der erste der Mit uns über den Tod und über die Zeit danach sprach. Er erklärte uns das wir ihn jederzeit anrufen können wenn es soweit ist. Das würde verhindern das wir im Sterbefall die Feuerwehr rufen müssen. Denn diese müssten Papa reanimieren und die Sterbeursache müsste nachträglich geklärt werden. Ich glaube das jeder weiß was das bedeutet. Ein Homecare- Arzt ist berechtigt den Totenschein auszuschreiben. Papa würde nicht mehr in seiner Ruhe gestört werden wenn es soweit ist.
Nun gut. Am 01.August rief uns Mama morgens an. Papa war die Nacht sehr unruhig , hatte teilweise wirr gesprochen. Sie hatte Angst!!!! Sein Gewicht lag bei ca 36kg
Als wir kamen schlief Papa noch. Ich ging zu ihm ans Bett. Aber dort lag plötzlich ein ganz Fremder. Die Augen waren eingefallen und die Haut war sehr blass. Er wirkte plötzlich so“knochig“ auf mich.
In den folgenden 2 Tagen kam er nur noch kurzzeitig zu sich. Er erkannte uns nicht mehr richtig. Der Arzt hatte ihm einen Zugang gelegt. Morphium!!! Am Sonntag morgen fiel er dann ins Koma. Seit 3 Tagen kein Essen oder Trinken. Ein Tropf mit Flüssigkeit hätte nur dazu geführt das die Lunge mit Wasser volläuft.
Mein Papa war von Natur aus ein sehr schüchterner Mensch und er sagte einmal vor langer Zeit das er nur sterben würde wenn es dunkel ist, denn er würde nicht wollen das die Leute auf der Straße stehen und ihn begaffen. Schon seltsam, aber irgendwie war für uns alle, die wir nun schon einige Tage ununterbrochen bei ihm am Bett saßen, klar, das es, wenn es so weit sein würde , dunkel wäre. Tagsüber legte sich jeder mal für ein oder zwei Stunden auf die Couch oder erlaubte sich einen kurzen Erholungsspaziergang aber wenn es dunkel wurde waren wir immer alle bei ihm. Der Sonntag war ein ruhiger Tag. Die Panik des ersten Tages hatte sich gelegt, Die Aufgaben waren verteilt. Meine Schwester ist Krankenpflegerin und kümmerte sich daher um die körperlichen Bedürfnisse meines Papas. Ich half ihr so gut es ging. Wir wollten nicht das er sich wund liegt und waren daher bemüht Druckstellen zu vermeiden. Das war gar nicht so einfach wenn man bedenkt das er täglich ein bis 2 kilo abnahm . Aber er schien die gesamte Zeit über keine Schmerzen zu haben. Und Dank des Sauerstoffs hatte er auch kaum Atembeschwerden.
Der 3 August war ein heißer Tag gewesen. Und wir alle waren froh das der Abend ein wenig Abkühlung versprach. Auch Papa war der vergangene Tag anzumerken. Er war sehr verschwitzt und wirkte auch unruhig auf mich. Wir beschlossen, ihn ein wenig frisch zu machen, Ein von hinten aufgeschnittenes T-Shirt machte uns das An-und ausziehen einfacher. Ein wenig Aftershave sollte das Frischegefühl unterstützen. Das Haar noch mal gekämmt und das frische Laken zum Schutz gegen Zug über die Beine abgelegt. Es war 21.15 Uhr als wir Papas Hand wieder vorsichtig auf dem Bett ablegten. Unerwarteter Weise lies er in diesem Moment einen Seufzer hören. Mama lächelte darüber und küsste Papa liebevoll auf die Wange. Dann sackte sein Brustkorb zusammen . Er hatte aufgehört zu atmen.
Ich glaube jeder denkt irgendwann mal darüber nach wie man damit umgehen wird wenn es soweit ist. Für mich stand fest..... ich will ihn niemals tod sehen. Ich habe Angst vor dem Tod.
Aber Papa nahm mir diese Angst. Er machte uns alle sehr stark für diesen Moment. Wir hatten alle die Zeit uns von ihm zu verabschieden. Jeder auf seine Art. Ich durfte nochmal Danke sagen für alles. Aber ich durfte auch noch mal aussprechen was mich quälte. Nichts mußte ungesagt bleiben.
Daher war es in dem Moment als er von uns ging auch für alle .......erträglich. Er mußte nicht leiden und daher mußten auch wir nicht leiden. Und ich weiß, das niemand der nicht dabei war, es glauben wird, aber..... zum schluß hat er gelächelt! Wir haben es alle gesehen und halten uns noch heute daran fest.
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  #2  
Alt 03.11.2008, 09:45
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oma2 oma2 ist offline
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Standard AW: Er nahm mir die Angst davor

hallo,

es tut mir leid was du erleben musstest.

auch ich hatte angst vor dem tod und dem sterben, uns ging es genauso. meine mama hat sehr friedlich ausgesehen....

alles gute, und viel kraft für euch.

oma2
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  #3  
Alt 03.11.2008, 21:08
viermalmama viermalmama ist offline
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Beitrag AW: Er nahm mir die Angst davor

Zitat:
Zitat von oma2 Beitrag anzeigen
hallo,

es tut mir leid was du erleben musstest.

auch ich hatte angst vor dem tod und dem sterben, uns ging es genauso. meine mama hat sehr friedlich ausgesehen....

alles gute, und viel kraft für euch.

oma2
Vielen lieben Dank für Deine tröstenden Worte.
Leider habe ich festgestellt das es mir unendlich schwerfällt anderen menschen in änlicher Situation Kraft und Trost zu spenden.
daher werde ich einfach heute Abend für Deine Mama eine Kerze mitanzünden.

lg Viermalmama
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  #4  
Alt 04.11.2008, 13:44
Mai-Tai Mai-Tai ist offline
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Beiträge: 46
Standard AW: Er nahm mir die Angst davor

Hallo,

mit Tränen in den Augen habe ich Deinen Bericht gelesen. Es erinnert mich so an unsere Geschichte.

Ich habe meinen Papa am 9. August verloren. Wir waren auch alle bei ihm, als er starb, meine Geschwister, meine Mama und ich.
Und ich bin so froh, dass er nicht alleine gehen musste.

Ich wünsch Dir und Deiner Familie ganz viel Kraft!

Liebe Grüße
__________________
Für immer in meinem Herzen - mein lieber Papa
9. August 2008
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  #5  
Alt 05.11.2008, 14:42
viermalmama viermalmama ist offline
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Standard AW: Er nahm mir die Angst davor

Zitat:
Zitat von Mai-Tai Beitrag anzeigen
Hallo,

mit Tränen in den Augen habe ich Deinen Bericht gelesen. Es erinnert mich so an unsere Geschichte.

Ich habe meinen Papa am 9. August verloren. Wir waren auch alle bei ihm, als er starb, meine Geschwister, meine Mama und ich.
Und ich bin so froh, dass er nicht alleine gehen musste.

Ich wünsch Dir und Deiner Familie ganz viel Kraft!

Liebe Grüße
Liebe Mai-Tai
Die Wünsche kann ich Dir nur zurückgeben. Fühle Dich von mir gedrückt.Ich weiß was Du gerade hinter dich gebracht hast.
Ich glaube so schrecklich wie es ist einen geliebten Menschen zu verlieren. Aber mein Papa hat uns allen sehr sehr Viel in dieser schweren Zeit gegeben. Ich sehe vieles nun in einem anderen Licht und ich gehe auch mit meiner Familie ein wenig anders um... nicht so "Selbstverständlich"!

lg Viermalmama
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  #6  
Alt 06.11.2008, 08:56
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rumpelinchen rumpelinchen ist offline
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Beiträge: 190
Standard AW: Er nahm mir die Angst davor

Hallo,

mein aufrichtiges Beileid zu deinem schweren Verlust.

Ich kann dir so nachempfinden, wie du dich jetzt fühlst, mein Papa verstarb am 2.7. und auch er ging friedlich, nach einer sehr sehr schweren schlimmen Zeit.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft.

Christina
__________________
UNVERGESSEN! 15.3.1956 - 2.7.2008
Du fehlst mir unendlich und wirst immer in meinem Herzen sein!!!
Du kannst darüber weinen, dass er gegangen ist,
oder Du kannst lächeln, dass er mit Dir gelebt hat.
Du kannst die Augen schließen und beten, dass er wiederkommt
oder Du kannst sie öffnen und sehen, was er zurück gelassen hat.
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  #7  
Alt 08.11.2008, 11:16
viermalmama viermalmama ist offline
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Ort: Berlin
Beiträge: 12
Beitrag AW: Er nahm mir die Angst davor

Zitat:
Zitat von rumpelinchen Beitrag anzeigen
Hallo,

mein aufrichtiges Beileid zu deinem schweren Verlust.

Ich kann dir so nachempfinden, wie du dich jetzt fühlst, mein Papa verstarb am 2.7. und auch er ging friedlich, nach einer sehr sehr schweren schlimmen Zeit.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft.

Christina
Ich danke Dir für die Kraft die Du mir mit Deinen Worten schenkst.

Auch Dir mein aufrichtiges Beileid. Fühle Dich von mir gedrückt.

lg Viermalmama
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