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  #1  
Alt 05.10.2014, 09:25
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Der langsame Abschied
Es begann etwa an meinem Geburtstag, ich wurde 61 Jahre. Meine Frau war im Ausland, ich war in Süddeutschland beruflich unterwegs. Dort wurde einen Tag vor meinem Geburtstag die Diagnose gestellt. Die Tochter erzählte mir viel später, die Ärzte hätten gesagt, sie werde nur noch wenige Monate leben. Das wusste ich damals nicht, aber uns beiden war klar, dass ihr Leben bedroht war. Tanja kam mit der Tochter und der Enkelin zurück nach Deutschland. Eine Woche später fuhren Tochter und Enkelin zurück. Zunächst diagnostizierte man ein Mesothelliom, später einen anderen Krebs des Bauchfells Danach gab es Zeiten der Hoffnung. Vielleicht bringt die Chemo-Therapie mehr Lebenszeit mit relativ guter Lebensqualität. Vor der OP Ende Oktober bestand sogar die Hoffnung auf Heilung. Daraus wurde nichts. Aber wir hofften, dass die Chemo-Therapie weiter wirken würde. Mitte Januar 2012 war auch diese Hoffnung vorbei. Ende Mai kam sie auf die Palliativstation, nachdem die zweite Chemo-Therapie fehlgeschlagen war. Die Ober-Ärztin sagte mir: es geht nicht um Jahre sondern um dieses Jahr. Ende Juli hatten wir die Gewissheit: Es geht um wenige Wochen. Am 12. August 2012 ist sie dann im Hospiz gestorben. Es begann eine neue Phase des Abschieds. Es ist auch eine Abschied von mir selbst. Tanja gehörte zu meinem Leben, meine Zukunft konnte man von unserer Zukunft nicht trennen. Ich bin nicht mehr der, der ich mit 60 Jahren war. Die gemeinsame Zukunft ist weg. Die Erlebnisse zeigte, wie unsicher das Leben ist. Der Abschied vom Erwerbsleben kommt spätestens Ende 2016 hin zu. Wie ist nun der, der ich jetzt bin? Ich bin in bestimmten Angelegenheiten empfindlicher geworden. Donnerstag wurde im Fernsehen über Sterbehilfe diskutiert. Ich achtete weniger auf die Inhalte, sondern mehr auf die Stimmung. Einige Beiträge waren emotional kalt, zum Beispiel Montgomerie zur ärztlichen Gebührenordnung. Natürlich muss ein Ärztevertreter in einer Diskussion keine Gefühle zeigen, aber es sollte deutlich werden, dass er sich in die Situation eines Sterbenden hineinversetzen kann. Auch Zukunft hat für mich eine andere Bedeutung, sie ist nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht mehr so wichtig. Gleichzeitig bedeutet das auch Freiheit. Wenn man nicht viel zu verlieren hat, ist man frei von vielen äußeren Zwängen. Anderseits ist dies auch eine einsame Freiheit. Es gibt niemanden für den ich da sein und sorgen müsste. Die Nachricht von meinem Tode würden vielleicht einige mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, aber wirklich trauern würde wohl niemand. Damit wird auch Leiden vermieden. Emotional muss ich mich noch an die neue Freiheit gewöhnen. Der Wunsch weiter leben zu wollen, hat das Leid meiner Frau vergrößert. Nachdem sie diesen Wunsch aufgegeben hatte, ging es ihr psychisch besser.
Liebe Grüße
Hermann
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  #2  
Alt 05.10.2014, 18:01
Benutzerbild von Yogi 12
Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
...
Auch Zukunft hat für mich eine andere Bedeutung, sie ist nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht mehr so wichtig. Gleichzeitig bedeutet das auch Freiheit. Wenn man nicht viel zu verlieren hat, ist man frei von vielen äußeren Zwängen. Anderseits ist dies auch eine einsame Freiheit. Es gibt niemanden für den ich da sein und sorgen müsste. Die Nachricht von meinem Tode würden vielleicht einige mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, aber wirklich trauern würde wohl niemand....Hermann
Hallo Hermann,

Schön, wieder von dir zu hören.
Du drückst das aus, was ich momentan auch durchlebe und fühle.

Durch die Kinderlosigkeit war das Leben zwischen meinem Mann und mir so eng verbunden, das es manchmal einer Symbiose gleichkam.
Das Verlustempfinden ist um so größer, weil sonst niemand da ist ,dem ich meine Liebe und Fürsorge geben kann.

Ich versuche auch nicht zu leugnen das ich jeden Tag älter werde. Dadurch ändert sich meine Rolle in der Gesellschaft und auch die Befindlichkeiten ändern sich.
In dieser Lebensphase wird von der Zukunft jetzt nichts besseres mehr zu erwarten sein.
Der " Abstieg " vom Zenit des Lebens ist nicht angenehm. Sich mit der Realität der Veränderungen auseinanderzusetzen macht Angst, - ist aber möglich. - Ich sollte es mal ausprobieren.....

Bisher fühle ich mich schwach und bin froh den normalen Tagesablauf hinzukriegen. Gibt es Irritationen bin ich schnell nervös.
Die Entscheidung für einen Neubeginn ist noch nicht gefallen.
Es geht erst mal nur darum das ich "weitergehe."

Das tust du ja bereits Hermann, und ich wünsche dir das es keinen Stillstand dabei gibt - und das die Trauer um die geliebten Verstorbenen mit der Zeit erträglicher wird.

Liebe Grüße

Jutta
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  #3  
Alt 06.08.2015, 10:23
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Nun sind fast zwei Jahre vergangen. Sie ist am 12. August im Hospiz gestorben. Ihre Krankheit und ihre Tod haben mein Leben grundlegend verändert. Die Endlichkeit des Lebens wurde mir bewusster. Vieles ist nicht mehr, wie es war. „Alle streben nach dem Glück, das Glück rennt hinterher“ (Brecht). Danach strebe ich nicht mehr, aber doch noch nach dem beruflichen und privaten Sinn. Vielleicht habe ich noch 6 Jahre, vielleicht auch 16 Jahre. Niemand weiß das. Wichtig ist mir die geistige Gesundheit und die Fähigkeit, mich selbst zu versorgen. Solange man geistig gesund und unabhängig ist, kann man mit dem Leben noch was machen.
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  #4  
Alt 15.08.2015, 11:40
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Der zweite Todestag. Er war anders als der erste. Wir waren ein kleiner Kreis: Ihre Tochter, Schwiegersohn, Enkelinnen und ich. Tanjas Bruder hat angerufen. Morgens ging es in die Kirche, danach zum Friedhof. Mittags waren wir zurück. Abends fand dann das Essen zum Gedenken an Tanja statt. Sicher gab es einige freundliche Worte für Tanja. Aber irgendwie hat man sich angefunden mit einem Leben ohne sie und konzentriert sich darauf. Abgefunden habe ich mich damit auch, aber die Traurigkeit kommt immer mal wieder zurück. Vor ihrem Tod sagte Tanja einmal, ich würde es schwerer haben, weil ich allein sein werde. Sie hatte Recht. Kinder und Enkelkinder haben noch viel Leben vor sich. Die Enkelinnen sollen eine gute Ausbildung absolvieren und später eine Familie gründen. Die Eltern müssen das unterstützen und haben damit viel zu tun. Das soll ja auch so sein. Die Ehepartner der Toten verlieren mehr. Ein Teil des eigenen Lebens ist vorbei.
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  #5  
Alt 17.08.2015, 21:32
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Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Hermann,

dein Beitrag erzählt von der Veränderung der Trauer und der Akzeptanz der Abwesenheit am 2. Todestag deiner Frau,
doch ihr seit auch zusammengekommen um an sie zu denken. Die Tochter und Enkelinnen haben für diesen Gedenktag eine weite Reise in Kauf genommen.

Auch mein Mann hat mit mir gefühlt, wenn er daran dachte dass er mich eher verlassen muss als umgekehrt.

Das Glück und die Verbundenheit mit ihm waren nur noch von kurzer Dauer.

Fast mein ganzes familiäres Umfeld hat Kinder oder Enkel um die sie sich noch kümmern können, auch die Familie meines Mannes.
Sie konnten kurz nach seinem Tod wieder zur Tagesordnung übergehen, haben normal gegessen sich mit TV abgelenkt, haben ihr Leben wie immer weitergeführt, doch ich war allein und musste mir mühsam einen Weg zurück in`s Leben erkämpfen.

Um so wütender war ich als sie am ersten Todestag meines Mannes fast ausschließlich nur über Kinder, Geburt, Vor und Nachsorge sprachen und mich und meine Wünsche für diesen Tag außen vor ließen.
Dieses lieblose Miteinander hat mir mehrere Wochen ein Stimmungstief beschert, von dem ich mich nur schwer erholt habe.

Die Aufregung hat sich aber inzwischen gelegt, doch ich werde den Kontakt zu ihnen komplett abbrechen.

Liebe Grüße

Jutta
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  #6  
Alt 18.08.2015, 09:51
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Jutta,
hallo Anni,
jede Person trauert auf ihre Weise. Auch gibt es unterschiedliche Phasen. Da habe ich kurze Phasen der Verleugnung erlebt, in denen man scheinbar weiterlebt, als würde es nicht passieren bzw. als sei es nicht passiert. Bei Tanja (vor ihrem Tod) und bei mir waren diese Phasen kurz, denn die Realität holte uns immer wieder ein. Wenn die Verleugnung anhält, kann das problematisch sein. Schwer ist es auch, wenn man selber traurig ist, die anderen aber verleugnen. Das habe ich weniger stark mit der Tochter meiner Frau erlebt, wohl aber mit einigen Bekannten. Es wird dann geredet und geredet, nur um ein Thema zu vermeiden. Mir ging dann ihr Gerede zur auf die Nerven. Ich wollte aber auch nicht mitspielen. Natürlich muss man auch trauern können. Intensiver getrauert habe ich zum ersten Mal 1991, als mein Vater an Krebs erkrankte und dann 1992 starb. Schon damals habe ich erlebt, dass es Leute gibt, die Trauernde schlecht aushalten können, wenn es ein Mann ist schon gar nicht. Noch intensiver waren die Gefühle, als Tanja krank wurde. Wir waren auch zusammen traurig.
Herzliche Grüße
Hermann
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  #7  
Alt 19.08.2015, 22:22
Benutzerbild von Yogi 12
Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von AnnieHall Beitrag anzeigen
Hallo ... Aber bevor ich mich in meiner Trauer in Gemeinschaft noch einsamer fühle, als wenn ich alleine trauere, dann bestreite ich solche Tage lieber, indem ich beispielsweise einen Spaziergang in dem Wald mache, in dem Mama so gerne gegangen ist... Ich fühle mich ansonsten, als würde Mama nun auch noch "tot geschwiegen"... Natürlich kann man nicht unentwegt über Vergangenes reden, aber kleine "Einschübe" wie "darüber hätte er/ sie das gedacht... etc" helfen schon sehr...
Hallo Anni,
ich verstehe dich, schreibe aus dem selben Grund wie du. In den letzten 5 Jahren musste ich jedes Jahr einen Verlust hinnehmen. Mein Vater ist genau 4 Jahre vor meinem Mann auch an Lungenkrebs gestorben, meine Mutter im Februar 2014 an Demenz, der Schwiegervater im Februar 2013, und 2012 starb unser gemeinsamer Weggefährte, ein kleiner Dackel.

Da ich zu den Eltern in den letzten Jahren eher ein angespanntes Verhältnis hatte, übertraf der Verlust meines Mannes alles bisher da gewesene.

Bei dir ist die Abwesenheit der Mutter noch sehr frisch und ich wünsche dir, dass du dich nicht unter Druck setzen lässt, und dir so viel Zeit zum Trauern bleibt, wie du brauchst.

Du hattest- wenn ich es richtig herauslese- ein inniges Verhältnis zu deiner Mutter, sie war vielleicht auch eine beste Freundin für dich. Je intensiver die Beziehung, um so schwerer ist der Verlust zu ertragen...

Wir wollen das Andenken und die Erinnerungen an unsere lieben Verstorbenen bewahren und stellen fest, dass die Umwelt und selbst nahe Angehörige nicht immer damit zurecht kommen.
Ich habe aus den letzten schmerzhaften Erfahrung gelernt.
Ich lass sie- und gehe meinen eigenen Weg....

Auch ich laufe die Wege mit meinem Hund, die mein Mann besonders gerne zurückgelegt hat. Dort bin ich meistens alleine und kann mich meinen Gefühlen hingeben. Die Tränen und die Trauer sind immer noch da und ich fühle mich oft wie eine halbe Person.
Seine Abwesenheit ist durch nichts und niemanden zu ersetzen.
So wird es dir mit deiner geliebten Mutter auch gehen.....

Nichts kann dich jetzt wirklich trösten, aber der Austausch mit gleichgesinnten kann die Seele ein wenig erleichtern.

Herzliche Grüße

Jutta

Geändert von Yogi 12 (19.08.2015 um 22:25 Uhr)
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  #8  
Alt 30.08.2015, 15:31
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Nun bin ich mehr als zwei Jahre ohne Tanja und versuche mehr und mehr, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Es muss sein, um dem Leben einen Sinn zu geben.Manchmal aber ist es noch schwierig. Eine Freundin meiner Frau feierte mit ihrer Familie und Freundinnen und Freunden ihren Geburtstag. Ich war eingeladen, aber es war seltsam. Die Gäste halten dort eine kleine Ansprache. Ich hatte Befürchtungen, habe es aber geschafft.

Geändert von hermannJohann (30.08.2015 um 15:34 Uhr)
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