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Alt 10.12.2006, 13:29
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struwwelpeter struwwelpeter ist offline
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Der störrische Esel
und die süße Distel der Heil'gen Nacht


Als der heilige Josef im Traum erfuhr, dass er mit seiner Familie vor der Bosheit des Herodes fliehen müsse, weckte der Engel in dieser bösen Stunde auch den Esel im Stall.

"Steh auf!" sagte er von oben herab, "du darfst die Jungfrau Maria mit dem Herrn nach Ägypten tragen." Dem Esel gefiel das gar nicht. Er war kein sehr frommer Esel, sondern eher ein wenig störrisch von Gemüt. "Kannst du das nicht selber besorgen?" fragte er verdrossen. "Du hast doch Flügel, und ich muss alles auf dem Buckel schleppen! Warum denn gleich nach Ägypten, so himmelweit!"

"Sicher ist sicher!" sagte der Engel; und das war einer von den Sprüchen, die selbst einem Esel einleuchten müssen.

Als er nun aus dem Stall trottete und zu sehen bekam, welch eine Fracht der heilige Josef für ihn zusammengetragen hatte, das Bettzeug für die Wöchnerin und einen Pack Windeln für das Kind, das Kistchen mit dem Gold der Könige und zwei Säcke mit Weihrauch und Myrrhe, einen Laib Käse und eine Stange Rauchfleisch von den Hirten, den Wasserschlauch, und schließlich Maria selbst mit dem Knaben, auch beide wohlgenährt, da fing er gleich wieder an, vor sich hinzumaulen. Es verstand ihn ja niemand außer dem Jesuskind.

"Immer dasselbe", sagte er, "bei solchen Bettelleuten! Mit nichts sind sie hergekommen, und schon haben sie eine Fuhre für zwei Paar Ochsen beisammen. Ich bin doch kein Heuwagen", sagte der Esel, und so sah er auch wirklich aus, als ihn Joseph am Halfter nahm; es waren kaum noch die Hufe zu sehen.

Der Esel wölbte den Rücken, um die Last zurecht zu schieben, und dann wagte er einen Schritt, vorsichtig, weil er dachte, dass der Turm über ihm zusammenbrechen müsse, sobald er einen Fuß voransetze. Aber seltsam, plötzlich fühlte er sich wunderbar leicht auf den Beinen, als ob er selber getragen würde; er tänzelte geradezu über Stock und Stein in der Finsternis.

Nicht lange, und es ärgerte ihn auch das wieder. "Will man mir einen Spott antun?" brummte er. "Bin ich etwa nicht der einzige Esel in Bethlehem, der vier Gerstensäcke auf einmal tragen kann?"

In seinem Zorn stemmte er plötzlich die Beine in den Sand und ging keinen Schritt mehr von der Stelle.

Wenn er mich auch noch schlägt, dachte der Esel erbittert, dann hat er seinen ganzen Kram im Graben liegen!

Allein Joseph schlug ihn nicht. Er griff unter das Bettzeug und suchte nach den Ohren des Esels, um ihn dazwischen zu kraulen. "Lauf noch ein wenig", sagte der heilige Joseph sanft, "wir rasten bald!"

Daraufhin seufzte der Esel und setzte sich wieder in Trab. So einer ist nun ein großer Heilger, dachte er, und weiß nicht einmal, wie man einen Esel antreibt!

Mittlerweile war es Tag geworden, und die Sonne brannte heiß. Joseph fand ein Gesträuch, das dünn und dornig in der Wüste stand, in seinem dürftigen Schatten wollte er Maria ruhen lassen. Er lud ab und schlug Feuer, um eine Suppe zu kochen; der Esel sah es voll Misstrauen. Er wartete auf sein eigenes Futter, aber nur, damit er es verschmähen konnte. "Eher fresse ich meinen Schwanz", murmelte er, "als euer staubiges Heu!"

Es gab jedoch gar kein Heu, nicht einmal ein Maul voll Stroh; der heilige Joseph, in seiner Sorge um Weib und Kind, hatte es rein vergessen. Sofort fiel den Esel ein unbändiger Hunger an. Er ließ seine Eingeweide so laut knurren, dass Joseph entsetzt um sich blickte, weil er meinte, ein Löwe säße im Busch.

Inzwischen war auch die Suppe gar geworden, und alle aßen davon. Maria aß, und Joseph löffelte den Rest hinterher, und auch das Kind trank an der Brust seiner Mutter; nur der Esel stand da und hatte kein einziges Hälmchen zu kauen. Es wuchs da überhaupt nichts, nur etliche Disteln im Geröll. "Gnädiger Herr!" sagte der Esel erbost und richtete eine lange Rede an das Jesuskind; eine Eselsrede zwar, aber ausgekocht scharfsinnig und ungemein deutlich in allem, worüber die leidende Kreatur vor Gott zu klagen hat. "I-a! " schrie er am Schluss, das heißt: "So wahr ich ein Esel bin!"

Das Kind hörte alles aufmerksam an. Als der Esel fertig war, beugte er sich herab und brach einen Distelstängel; den bot es ihm an.

"Gut!" sagte er, bis ins Innerste beleidigt. "So fresse ich eben eine Distel! Aber in deiner Weisheit wirst du voraussehen, was dann geschieht. Die Stacheln werden mir den Bauch zerstechen, so dass ich sterben muss, und dann seht zu, wie ihr nach Ägypten kommt!"
Wütend biss er in das harte Kraut, und sogleich blieb ihm das Maul offen stehen; denn die Distel schmeckte durchaus nicht, wie er es erwartet hatte, sondern nach süßestem Honigklee, nach würzigstem Gemüse. Niemand kann sich etwas derart Köstliches vorstellen, er wäre denn ein Esel.

Für diesmal vergaß der Graue seinen ganzen Groll. Er legte seine langen Ohren andächtig über sich zusammen, was bei einem Esel soviel bedeutet, wie wenn unsereins die Hände faltet.

Karl Heinrich Waggerl


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Alt 10.12.2006, 22:44
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Die verlorene Weihnachtsgeschichte

Es gab einmal einen Engel, der hatte eigentlich seinen festen Platz bei den himmlischen Heerscharen und hatte bis jetzt auch noch an nichts anderes gedacht, als zur rechten Zeit seine Harfe anzuschlagen und seinen weißen Arbeitsanzug sauber zu halten. Das ging schon seit vielen tausend Jahren so und Jonny, so hieß er, hätte sich nicht träumen lassen, dass sich daran noch mal etwas ändern würde. Träumen war übrigens auch nicht seine Sache, war er selber doch nicht weniger als ein Traum.

Aber es kam doch anders. Der Herrgott, den er immer sehr gerne mochte, weil er immer so schön gütig war und sich noch nie beschwert hatte, wenn er mal einen falschen Ton auf seiner Harfe angeschlagen hatte, hatte nämlich einen himmlischen Plan gefasst. Und zwar hatte er sich entschlossen, dass es an der Zeit wäre, den Menschen ein Zeichen zu geben, dass es den Herrgott noch gäbe.

Dazu schien es Gott auch höchste Zeit zu sein, denn die Menschen waren gerade
eifrig dabei, immer mehr von dem kaputt zu machen, was er doch mal mit so viel Mühe geschaffen hatte. Gott wurde angst und bange, wenn er nach unten blickte. Gerade neulich hatte ihn wieder ein furchtbarer Knall aus dem Schlaf gerissen und es hatte bis zu ihm herauf geblitzt. Den Engeln hatte es fast den Heiligenschein weggeblasen.

Gott rief also den Jonny zu sich und sprach sehr lange und ernsthaft mit ihm über seine Sorgen. Schon einmal hätte er versucht, den Menschen etwas Klarheit zu schenken, damit sie nicht mehr soviel kaputt machen müssten. Damals hätten sie da unten schon die gleichen Probleme gehabt: Die einen waren reich und die anderen versklavt und glücklich war niemand.

Damals war auch ein Bote auf die Erde geschickt worden, erzählte Herrgott. Aber die Mission war nicht wunschgemäß verlaufen: Zuerst war der menschliche Körper des Boten ermordet worden und dann hatten die Menschen noch eine fürchterlich sentimentale Geschichte aus seinem Leben gemacht. Eine Geschichte, die sich die Menschen zwar immer wieder zur Belebung des Weihnachtsfestes anhörten aber überhaupt nicht mehr zuhörten. Und daher kam die Liebe, die in der Geschichte steckte, überhaupt nicht mehr hervor und die Welt wurde kälter und kälter.

Darum hatte sich Gott also nun entschlossen, einen neuen Versuch zu starten, bevor sich die Menschen vor lauter Unglück alle gegenseitig umgebracht hatten.

Also meinte Gott: "Pass auf Jonny, du nimmst dir jetzt deine Harfe, ziehst deinen leuchtenden Arbeitsanzug an und dann gehst du runter auf die Erde. Dort musst du dir dann jemanden suchen, der oder die diese Weihnachtsgeschichte wirklich und ernsthaft verstanden hat. Den oder die musst du dann bitten und ermutigen und ihm oder ihr die Kraft geben, sie allen anderen Menschen zu erzählen. Während dieser Erzählungen musst du dann immer auf deiner himmlischen Harfe spielen, damit sie das Herz der Menschen aufschließt. Alles was in der Weihnachtsgeschichte erzählt wird, wird dann direkt in das Herz der Menschen dringen und dann ist die Welt bestimmt gerettet."

So einfach war das also. Jonny war begeistert. Da Heiligabend nicht mehr fern war, machte er sich auch gleich auf den Weg zu den Menschen. Er überlegte, welche Menschen die Weihnachtsgeschichte wohl am dringendsten nötig hätten. Nachdem er einige Zeit auf die Erde heruntergeschaut hatte, kam er auf die sogenannten zivilisierten Menschen in diesen sogenannten reichen Ländern.

Es war aber gar nicht einfach in diesen Ländern einen Menschen zu finden, der als Erzähler oder Erzählern in Frage käme.

In einer Einkaufsstraße fand Jonny einen Mann mit einem gemütlich aussehenden Bart, einer Zipfelmütze und mit Kindern um ihn herumstehend, der erzählte Weihnachtsmärchen. "Das muss er sein," dachte Jonny und schwebte zu ihm herunter.

Aber um so näher er kam um so verwirrter wurde er: die Kinder hörten ja gar nicht zu! Woran lag das nur? Und dann merkte er, dass der Mann in ein Mikrophon sprach so dass die Kinder gar nicht seine wirkliche Stimme hörten sondern nur ein hässliches Gekrächze. Und der Bart war nicht echt, die Mütze war aus Pappe und als er dann noch in die Gedanken des Mannes schaute, sah er dort nur seine nächste Gehaltsabrechnung. Die Geschichte, die er erzählte, interessierte ihn überhaupt nicht, obwohl sie wirklich sehr schön war. Außerdem war er noch von so hellen Lampen angeleuchtet, dass er seine Zuhörerschaft gar nicht anschauen konnte.

Das war es also nicht. Schnell schwebte Jonny weiter. "Sind die Menschen etwa alle so?" fragte er sich verzweifelt. Da kam er an einer Kirche vorbei, die war zu Ehren Gottes aufgebaut worden, erinnerte er sich. Das musste also eine Stelle sein, wo die Menschen noch von Gott und seiner Liebe wussten. Schnell schwebte Jonny herunter. Tatsächlich, der Oberpriester erzählte gerade die Weihnachtsgeschichte. Aber was war das? Die wenigen Zuhörer waren ja gar nicht von der Liebe der Geschichte erfüllt!

Wäre das der Fall gewesen hätten sie sich doch umarmen müssen, zumindest ab und zu einmal anlächeln. Aber nichts von alledem. Jonny spürte auch den Grund. Der Pastor glaubte und fühlte selbst nicht, was er erzählte. Er hatte die Geschichte jahrelang studiert, zerpflückt, analysiert, hinterfragt, so dass von der Wärme, den feinen unberührbaren Zusammenhängen nichts mehr übrig war. Deshalb konnte er die Geschichten auch nicht mehr erzählen. Er erzählte den Menschen daher Dinge aus ihrer Welt, einer Welt, die sie kannten, deren Einsamkeit sie kannten und in der sie es dem Pastor natürlich auch nicht glaubten, wenn er von Gemeinsamkeit und Nächstenliebe sprach.

Niedergeschlagen verließ Jonny die Kirche. Sollte es auf dieser Welt etwa niemanden mehr geben, der die Weihnachtsgeschichte wirklich erzählen konnte? Er schwebte weiter, vorbei an den hektischen, Geschenke hortenden Menschen, den stinkenden Autos und dem Lärm. Solange, bis es stiller wurde, bis die Menschen weniger und stiller wurden, bis dahin, wo die Stadt den Schnee nicht mehr zu einem endlosen grauen Matsch einschmolz und noch weiter.

Und Jonny fand ein kleines Dorf, im Norden eine Kirche, in der Mitte ein Haus, darin ein warmes Zimmer mit einem Ofen und daneben ein Mädchen hinter einem Spinnrad. Es spann Wolle und dachte dabei an die Schafe, die die Wolle für die Menschen hergaben und an die Hirten, die dort draußen in der Kälte auf die Schafe aufpassten. Und das Mädchen mochte die Schafe und die Hirten und überhaupt die Menschen und ganz besonders die Kinder. Es spürte deshalb, was die unschuldige Liebe eines Kindes der Welt der Erwachsenen geben konnte und dass manche der Hirten dort draußen in der Kälte sehr viel mehr Wärme übrig hatten, als dieser Landpfleger in seinem warmen Palast.

Und was das Wichtigste für Jonny war, das Mädchen kannte auch die Weihnachtsgeschichte. Sie erzählte sie manchmal kleinen Kindern, auf die sie aufpasste um Geld zu verdienen und sie wurde auch verstanden. Die Augen der Zuhörer fingen dann an zu leuchten und die Wärme der Geschichte sprang auf sie über. Nur die meisten älteren Leute verstanden nur wenig. Deren Herzen waren schon zu fest verriegelt.

"Endlich," dachte Jonny, "hier ist meine Aufgabe, hier habe ich den Menschen gefunden, der die Welt retten kann.

Und Jonny holte seine Harfe heraus und schlug sie an. Plötzlich war die Welt um das Mädchen wie verzaubert. Menschen, die vorher gar kein Interesse an der Geschichte hatten, kamen plötzlich herbei, baten, die Geschichte zu erzählen, hörten zu, tauten innen drin auf, wurden lebendig und verstanden die Geschichte mit Begeisterung. Ihre Herzen schlugen höher und die Menschen erzählten die Geschichte weiter, denn sie hatten gemerkt, wie viel Liebe sich Menschen geben können.

Die Menschen sahen auf einmal, wie grau die Welt, die sie sich erschaffen hatten war. Sie wollten auf einmal leben, weil sie an das lebende Kind im Stall von Bethlehem dachten. Sie nahmen alle ihre Bomben auseinander und verbuddelten sie tief unter der Erde. Dann trafen sie sich überall, um die Weihnachtsgeschichte zu hören und sie nahmen sich die Zeit dazu, die sie vorher nie gehabt zu haben glaubten.

Jonny spielte sich die Finger wund und das Mädchen begann heiser zu werden aber die beiden waren froh. Und Jonny merkte, dass sein Plan oder vielmehr der des lieben Herrgottes aufgegangen war.

Und so gaben die beiden so viel von ihrer doppelten Liebe, der Liebe des Menschen, die mit himmlischer Hilfe auf offene Herzen traf, an die Menschen weiter, dass die Welt ein ganz kleines Stück besser wurde.

Das Einzige, was das Mädchen und auch Jonny nicht wussten und was ihnen manchen Zweifel erspart hätte, war folgendes: Gott hatte viele, viele, viele Jonnys auf die Erde geschickt und in jeder Ecke und überall fanden sie Menschen, ein Mädchen, einen Jungen, einen Mann, eine Frau, die die Weihnachtsgeschichte noch verstanden. Und all die Jonnys halfen all den Menschen, sie weiter zu erzählen. Und darum scheint es doch so zu sein, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist.


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  #3  
Alt 10.12.2006, 22:46
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Warum der Engel lachen musste

Die bevorstehende Geburt des Christkinds bereitete den Engeln ziemliches Kopfzerbrechen. Sie mussten nämlich bei ihren Planungen sehr vorsichtig sein, damit die Menschen auf Erden nichts davon bemerkten. Denn schließlich sollte das Kind in aller Stille geboren werden und nicht einen Betrieb um sich haben, wie er in Nazareth auf dem Wochenmarkt herrschte.

Probleme gab es auch bei der Innenausstattung des Stalles von Bethlehem. An der Futterraufe lockerte sich ein Brett aber hat jemand schon einmal einen Engel mit Hammer und Nagel gesehen?! Das Stroh für das Krippenbett fühlte sich hart an, das Heu duftete nicht gut genug, und in der Stalllaterne fehlte das Öl.

Aber auch was die Tiere anbetraf, gab es allerhand zu bedenken. Genau an dem für den Engelschor auserwählten Platz hing ein Wespennest. Das musste ausquartiert werden. Denn wer weiß, ob Wespen einsichtig genug sind, um das Wunder der Heiligen Nacht zu begreifen? Die Fliegen, die sich Ochse und Esel zugesellt hatten, sollten dem göttlichen Kind nicht um das Näslein summen oder es gar im Schlafe stören. Nein, kein Tier durften die Engel vergessen, das etwa in der hochheiligen Nacht Unannehmlichkeiten bereiten könnte.

Unter dem Fußboden im Stall wohnte eine kleine Maus. Es war ein lustiges Mäuslein, das sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ, höchstens, wenn die Katze hinter ihm her war. Aber dann flüchtete es schnell in sein Mäuseloch zurück. Im Herbst hatte die Maus fleißig Früchte und Körner gesammelt; jetzt schlief sie in ihrem gemütlichen Nest. Das ist gut, dachte der verantwortliche Engel, wer schläft, sündigt nicht, und bezog die Maus nicht weiter in seine Überlegungen ein.

Nach getaner Arbeit kehrten die Boten Gottes in den Himmel heim. Ein Engel blieb im Stall zurück; er sollte der Mutter Maria in ihrer schweren Stunde beistehen. Damit aber keiner merkten konnte, dass er ein Engel war, nahm er seine Flügel ab und legte sie sorgsam in eine Ecke des Stalles. Als die Mutter Maria das Kind gebar, war sie sehr dankbar für die Hilfe des Engels.

Denn kurz darauf kamen schon die Hirten, nachdem sie die frohe Botschaft gehört hatten, und der Hütehund und die Schafe. Obwohl die Männer sich bemühten, leise zu sein, und sozusagen auf Zehenspitzen gingen, klangen ihre Schritte doch hart und der Bretterboden knarrte. War es da ein Wunder, dass die Maus in ihrem Nest aufwachte? Sie lugte zum Mäuseloch hinaus und hörte die Stimme " Ein Kind ist uns geboren ...", konnte aber nichts sehen.

Neugierig verließ sie ihr schützendes Nest und schon war die Katze hinter ihr: Schnell wollte das Mäuslein in sein Mäuseloch zurück, aber ein Hirte hatte inzwischen seinen Fuß darauf gestellt. "Heilige Nacht hin oder her", sagte die Katze zu der entsetzten Maus, "jetzt krieg ich dich!"

Und damit ging die wilde Jagd los. Die Maus in ihrer Angst flitzte von einer Ecke in die andere, sauste zwischen den Beinen der Hirten hindurch, huschte unter die Krippe und die Katze immer hinterher: Zwischenzeitlich bellte der Hütehund und die Schafe blökten ängstlich. Irgendwo gackerte aufgeregt eine Henne.

Die Hirten wussten nicht recht, was los war, denn eigentlich waren sie gekommen, um das Kind anzubeten. Aber sie konnten ja ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen, und alles rannte durcheinander: Es ging zu wie in Nazareth auf dem Wochenmarkt.

Als die Engel im Himmel das sahen, ließen sie buchstäblich ihre Flügel hängen. Es ist tröstlich zu wissen, dass auch so unfehlbare Wesen wie Engel nicht an alles denken. Das Mäuslein indessen befand sich in Todesangst. Es glaubte seine letzte Sekunde schon gekommen, da flüchtete es in seiner Not unter die Engelsflügel. lm gleichen Moment fühlte es sich sachte hochgehoben und dem Zugriff der Katze entzogen. Das Mäuslein wusste nicht, wie ihm geschah. Es schwebte bis unters Dachgebälk, dort hielt es sich fest. Außerdem hatte es jetzt einen weiten Blick auf das ganze Geschehen im Stall.

Die Katze suchte noch ungläubig jeden Winkel ab, aber sonst hatte sich alles beruhigt. Der Hütehund, bewachte die ruhenden Schafe. Die Hirten knieten vor der Krippe und brachten dem Christkind Geschenke dar. Alles Licht und alle Wärme gingen von diesem Kinde aus. Das Christkind lächelte der Maus zu, als wollte es sagen, "Gell, wir wissen schon, wen die Katze hier herunten sucht". Sonst hatte niemand etwas von dem Vorkommnis bemerkt.

Außer dem Engel, der heimlich lachen musste, als er die Maus mit seinen Flügeln sah. Er kicherte und gluckste trotz der hochheiligen Stunde so sehr, dass sich der heilige Josef schon irritiert am Kopf kratzte.
Es sah aber auch zu komisch aus, wie die kleine Maus mit den großen Flügeln in die Höhe schwebte. Die erstaunte Maus hing also oben im Dachgebälk in Sicherheit.

Und ihre Nachkommen erzählen sich noch heute in der Heiligen Nacht diese Geschichte. Macht ihnen die Speicher und Türme auf, damit sie eine Heimat finden - die Fledermäuse - wie damals im Stall von Bethlehem.




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  #4  
Alt 13.12.2006, 04:13
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Der glückliche kleine Vogel

Zizibä saß in einem kahlen Fliederbusch und fror. Zizibä war ein kleiner Vogel . Er hatte sein Federkleid dick aufgeplustert, weil's dann ein wenig wärmer war. Da saß er wie ein dicker, runder ball, und keiner ahnte, wie dünn sein Körper drunter aussah. Zizibä hatte die Augen zu. Er mochte schon gar nicht mehr hinsehen, wie die Schneeflocken endlos vom Himmel herunterfielen und alles zudeckten. Alle Futterplätze waren zugeschneit. Ach und Hunger tat so weh. Zwei Freunde von Zizibä waren schon gestorben. Stellt Euch mal vor, Ihr müsstet in einem kahlen Strauch sitzen, ganz alleine im Schnee, und hättet nichts zu essen. Kein Frühstück, kein Mittagessen - und abends müsstet Ihr hungrig einschlafen, ganz allein draußen im leeren Fliederbusch, wo's dunkel ist und kalt. Das wäre doch schlimm.

Zizibä musste das alles erleiden. Er saß da und rührte sich nicht. Nur manchmal schüttelte er den Schnee aus den Federn. Wieder ging ein hungriger Tag zu Ende. Zizibä wollte einschlafen. Er hörte plötzlich ein liebliches Geklingel. Dann wurde es hell und warm, und Zizibä dachte: Oh, das ist gewiss der Frühling. Aber es war der Weihnachtsengel. Er kam daher mit einem Schlitten voller Weihnachtspakete. Er sang vergnügt. "Morgen Kinder wird's was geben..." und leuchtete mit seinem Laternchen den Weg. Da entdeckte er auch unseren Zizibä. "Guten Abend", sagte der Engel, "warum bist du so traurig?" - "Ich hab' so Hunger", piepste Zizibä und machte vor Kummer wieder die Augen zu. - "Du armer kleiner", sagte der Engel, "ich habe auch nichts zu essen dabei. Woher kriegen wir nur was für dich?" Aber das war's ja, was Zizibä auch nicht wusste. Doch dann hatte der Engel eine himmlische Idee.

"Warte", sagte er, "ich werde dir helfen. Bis morgen ist alles gut. Schlaf nur ganz ruhig." Aber Zizibä war schon eingeschlafen und merkte gar nicht, wie der Engel weiterzog und im nächsten Haus verschwand.

Im nächsten Haus wohnte Franz. Das war ein netter, kleiner Bub. Jetzt lag er im Bett und schlief und träumte von Weihnachten. Der Engel schwebte leise herzu , wie eben Engel schweben, und beugte sich über ihn. Leise, leise flüsterte er ihm etwas ins Ohr, und was Engel sprechen, das geht gleich ins Herz. Der Franz verstand auch sofort, um was sich's handelt, obwohl er fest schlief.

Als er am nächsten Morgen wach wurde, rieb er sich die Augen und guckte zum Fenster hinaus. "Ei, so viel Schnee", rief er, sprang aus dem Bett, riss das Fenster auf und fuhr mit beiden Händen in den Schnee. Dann machte er einen dicken Schneeball und warf ihn aus Übermut hoch in die Luft. Plötzlich hielt er inne. Wie war das noch heute Nacht? Hatte er nicht irgend etwas versprochen? Richtig, da fiel's ihm ein. Er sollte dem Zizibä Futter besorgen.

Der Franz fegte den Schnee vom Fensterbrett und rannte zur Mutter in die Küche. "Guten Morgen, ich will den Zizibä füttern, ich brauch Kuchen und Wurst!", rief er. - "Das ist aber nett, dass du daran denkst", sagte die Mutter, "aber Kuchen und Wurst taugen nicht als Futter. Der Kuchen weicht auf, und die Wurst ist viel zu salzig. Da wird der arme Zizibä statt an Hunger an Bauchschmerzen sterben."

Die Mutter ging und holte eine Tüte Sonnenblumenkerne. "Die sind viel besser", sagte sie. Der Franz streute die Kerne aufs Fensterbrett und rief: "Guten Appetit, Zizibä!" Dann musste er sausen, um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen.

Als die Schule aus war, kam er auf dem Nachhauseweg beim Samenhändler Korn vorbei. Der Franz ging in den Laden und sagte: "Ich hätte gern Futter für die Vögel im Garten." Er legte sein ganzes Taschengeld auf den Tisch. Dafür bekam er eine große Tüte voll Samen und Meisenringe.

Nun rannte er nach Hause zu seinem Fensterbrett. Aber - o weh - da war alles zugeschneit. Doch die Körner waren verschwunden. Die hatte Zizibä noch rechtzeitig entdeckt. Er hatte seine Vettern und Kusinen herbeigeholt, und sie hatten sich einen guten Tag gemacht, während der Franz in der Schule war. Es darf nicht wieder alles zuschneien, dachte der Franz, und als sein Vater am Nachmittag heimkam, machten sie sich gleich daran und zimmerten ein wunderschönes Futterhaus. Das hängten sie vor dem Fenster auf.

Am nächsten Tag sprach sich's bei der ganzen Vogelgesellschaft herum, dass es beim Franz etwas Gutes zu essen gab. Das war eine große Freude, denn kein Vogel brauchte mehr vor Hunger zu sterben, und abends, wenn der Engel vorbeikam, sah er nur satte und zufriedene Vögel friedlich schlummern. Dafür legte er dem Franz noch ein Extra-Geschenk unter den Weihnachtsbaum, und es wurde ein wunderschönes Fest.



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  #5  
Alt 13.12.2006, 04:16
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Das kleine Schneeflöckchen


Es war Winter, dicke Schneeflocken wirbelten durch die Luft und bedeckten die Stadt mit einer dicken, weißen Decke. In den Fenstern funkelten Kerzenlichter, es wurde gebacken und der Christbaum geschmückt; denn morgen war Heiligabend. Alle freuten sich auf das Weihnachtsfest, Kinder spielten vergnügt im Garten. Auf den Straßen roch es nach frischem Lebkuchen. Doch nicht alle Kinder waren fröhlich. Ein kranker Junge saß mit traurigen Augen am Fenster und beobachtete das Schneetreiben. Er hatte einen Schal um den Hals gewickelt und seine Nase war ganz rot. Während die Kinder draußen ausgelassen Schneeflocken fingen und einen großen Schneemann bauten, musste er in seinem Bett liegen, weil er Schnupfen und Husten hatte.

So saß er da und schaute den Schneeflocken nach, die an seinem Fenster vorbei wehten. Eine von ihnen - die Kleinste - setzte sich auf sein Fensterbrett, um sich vom Fliegen zu erholen. Sie sah den kranken, traurigen Jungen am Fenster und erzählte es den anderen Schneeflocken. Sie fassten einen Plan. Zusammen flogen sie zu dem kranken Jungen und setzten sich an die Fensterscheibe. Der kranke Junge schaute immer noch mit traurigen Augen aus dem Fenster.

Leise flüsterte das kleine Schneeflöckchen der Schneeflocke neben ihr etwas ins Ohr und die flüsterte es zu der nächsten. Dann setzten sie sich alle so auf die Fensterscheibe, dass sie aussahen wie ein großer, weißer Eisstern. Die Augen des kranken Jungen fingen an zu leuchten; jetzt war er gar nicht mehr traurig.



Um das kleine Schneeflöckchen berühren zu können, streckte er seine Hand zum Fenster. Vorsichtig fasste der kranke Junge an die Scheibe und legte seine Hand auf den Stern aus Schneeflocken. Für ein paar Augenblicke konnte er das kleine Schneeflöckchen ganz nah spüren. Und als er seine Hand wieder wegnahm, hatten sich die Flocken plötzlich zu einem Herz geformt. Sie änderten ständig ihre Form und erfreuten den kranken Jungen mit immer neuen Bildern. Lachend spielte der kranke Junge mit den Schneeflocken an seinem Fenster. Am nächsten Tag war Weihnachten und er würde weiter aus dem Fenster schauen, um die Schneeflocken zu beobachten und gesund zu werden, denn morgen war ja Heiligabend.



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  #6  
Alt 15.12.2006, 01:40
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Drei merkwürdige Gäste und ein guter Stern





Die vornehmen Leute aus dem Osten hatten den Stall und die Krippe noch nicht lange verlassen, da trug sich eine seltsame Geschichte in Bethlehem zu, die in keinem Buch verzeichnet ist.



Wie die Reitergruppe der Könige gerade am Horizont verschwand, näherten sich drei merkwürdige Gestalten dem Stall. Die erste trug ein buntes Flickenkleid und kam langsam näher. Zwar war sie wie ein Spaßmacher geschminkt, aber eigentlich wirkte sie hinter ihrer lustigen Maske sehr, sehr traurig. Erst als sie das Kind sah, huschte ein leises Lächeln über ihr Gesicht. Vorsichtig trat sie an die Krippe heran und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. Vorsichtig trat sie an die Krippe heran und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht.



"Ich bin die Lebensfreude", sagte sie. "Ich komme zu dir, weil die Menschen nichts mehr zu lachen haben. Sie haben keinen Spaß mehr am Leben. Alles ist so bitterernst geworden." Dann zog sie ihr Flickengewand aus und deckte das Kind damit zu. "Es ist kalt in dieser Welt. Vielleicht kann dich der Mantel des Clowns wärmen und schützen."



Darauf trat die zweite Gestalt vor. Wer genau hinsah, bemerkte ihren gehetzten Blick und spürte, wie sehr sie in Eile war. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, schien es, als falle alle Hast und Hektik von ihr ab.


"Ich bin die Zeit", sagte die Gestalt und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. "Eigentlich gibt es mich kaum noch. Die Zeit sagt man, vergeht wie im Flug. Darüber haben die Menschen aber ein großes Geheimnis vergessen. Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht. Sie wächst wie Blumen und Bäume. Sie wächst überall dort, wo man sie teilt." Dann griff die Gestalt in ihren Mantel und legte ein Stundenglas in die Krippe. "Man hat wenig Zeit in dieser Welt. Diese Sanduhr schenke ich dir, weil es noch nicht zu spät ist. Sie soll dir ein Zeichen dafür sein, dass du immer soviel Zeit hast, wie du dir nimmst und anderen schenkst."



Dann kam die dritte Gestalt an die Reihe. Die hatte ein geschundenes Gesicht voller dicker Narben, so als ob sie immer und immer wieder geschlagen worden wäre. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, war es, als heilten die Wunden und Verletzungen, die ihr das Leben zugefügt haben musste.


"Ich bin die Liebe", sagte die Gestalt und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. "Es heißt, ich sei viel zu gut für diese Welt. Deshalb tritt man mich mit Füßen und macht mich fertig." Während die Liebe so sprach, musste sie weinen und drei dicke Tränen tropften auf das Kind. "Wer liebt, hat viel zu leiden in dieser Welt. Nimm meine Tränen. Sie sind, wie das Wasser, das den Stein schleift. Sie sind wie der Regen, der den verkrusteten Boden fruchtbar macht und selbst die Wüste zum Blühen bringt."



Da knieten die Lebensfreude, die Zeit und die Liebe vor dem Kind des Himmels. Drei merkwürdige Gäste brachten dem Kind ihre Gaben dar. Das Kind aber schaute die drei an, als ob es sie verstanden hätte. Plötzlich drehte dich die Liebe um und sprach zu den Menschen, die dabeistanden: "Man wird dieses Kind zum Narren machen, man wird es um seine Lebenszeit bringen und es wird viel leiden müssen, weil es bedingungslos lieben wird. Aber weil es Ernst macht mit der Freude und weil es seine Zeit und Liebe verschwendet, wird die Welt nie mehr so wie früher sein. Wegen dieses Kindes steht die Welt unter einem neuen, guten Stern, der alles andere in den Schatten stellt."



Darauf standen die drei Gestalten auf und verließen den Ort. Die Menschen aber, die all das miterlebt hatten, dachten noch lange über diese rätselhaften Worte nach.....



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Der allererste Weihnachtsbaum

Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich. Sein weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm herlief, merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute her.

Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner Tätigkeit. Es war alle Jahre dasselbe. Es war kein Schwung in der Sache. Spielzeug und Esswaren, das war auf die Dauer nichts. Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber quieken sollten sie und jubeln und singen, so wollte er es, das taten sie aber nur selten.
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Den ganzen Dezembermonat hatte der Weihnachtsmann schon darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues erfinden könne, um einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in die Kinderwelt zu bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die Großen teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein, denn er hatte so und soviel auszugeben und mehr nicht.

So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf dem Kreuzweg war. Dort wollte er das Christkindchen treffen. Mit dem beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der Gaben.

Schon von weitem sah er, dass das Christkindchen da war, denn ein heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes weißes Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn um es herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und Espen- und Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen Hirsche und Rehe und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es etwas: Kastanien, Eicheln und Rüben.

Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem Christkindchen die Tageszeit. „Na, Alterchen, wie geht's?“ fragte das Christkind. „Hast wohl schlechte Laune?“ Damit hakte es den Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der kleine Spitz, aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt seinen Schwanz kühn in die Luft.

„Ja“, sagte der Weihnachtsmann, „die ganze Sache macht mir so recht keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich weiß nicht. Das mit den Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts mehr. Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müsste etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum Spielen ist, aber wobei alt und jung singt und lacht und fröhlich wird.“

Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht; dann sagte es: „Da hast du recht, Alter, mir ist das auch schon aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das ist nicht so leicht.“

„Das ist es ja gerade“, knurrte der Weihnachtsmann, „ich bin zu alt und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh vom vielen Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein. Wenn es so weitergeht, schläft allmählich die ganze Sache ein, und es wird ein Fest wie alle anderen, von dem die Menschen dann weiter nichts haben als Faulenzen, Essen und Trinken.“

Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit nachdenklichem Gesicht. Es war so still im Wald, kein Zweig rührte sich, nur wenn die Eule sich auf einen Ast setzte, fiel ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton herab. So kamen die beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen Holz auf einen alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen standen. Das sah wunderschön aus. Der Mond schien hell und klar, alle Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und die Tannen standen darin, schwarz und weiß, dass es eine Pracht war. Eine fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrund stand, sah besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im Mondenschein.


Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmannes los, stieß den Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: „Ist das nicht wunderhübsch?“

„Ja“, sagte der Alte, „aber was hilft mir das ?“

„Gib ein paar Äpfel her“, sagte das Christkindchen, „ich habe einen Gedanken.“

Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es sich nicht recht vorstellen, daß das Christkind bei der Kälte Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen guten alten Schnaps, aber den mochte er dem Christkindchen nicht anbieten.

Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne Äpfel heraus. Dann faßte er in die Tasche, holte sein Messer heraus, wetzte es an einem Buchenstamm und reichte es dem Christkindchen.

„Sieh, wie schlau du bist“, sagte das Christkindchen. „Nun schneid mal etwas Bindfaden in zwei Finger lange Stücke, und mach mir kleine Pflöckchen.“

Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber er sagte nichts und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die Bindfadenenden und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind einen Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran und hängte den an einen Ast.

„So“, sagte es dann, „nun müssen auch an die anderen welche, und dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, dass kein Schnee abfällt!“

Der Alte half, obgleich er nicht wusste, warum. Aber es machte ihm schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte und sagte; „Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das alles für'n Zweck?“

„Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?“ lachte das Christkind.
„Paß auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse her!“

Der Alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie dem Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte einen Faden daran, rieb immer eine Nuss an der goldenen Oberseite seiner Flügel, dann war die Nuss golden, und die nächste an der silbernen Unterseite seiner Flügel, dann hatte es eine silberne Nuss und hängte sie zwischen die Äpfel.

„Was sagst nun, Alterchen?“ fragte es dann. „Ist das nicht allerliebst?“

„Ja“, sagte der, „aber ich weiß immer noch nicht...“

„Komm schon!“ lachte das Christkindchen. „Hast du Lichter?“

„Lichter nicht“, meinte der Weihnachtsmann, „aber 'nen Wachsstock!“
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„Das ist fein“, sagte das Christkind, nahm den Wachsstock, zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den Mitteltrieb des Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden, bog sie hübsch gerade und sagte dann; „Feuerzeug hast du doch?“

„Gewiss“, sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das gegenüberliegende. Und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so ein Licht nach dem andern zum Brennen.

Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinem halbverschneiten, dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold- und Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen brannten feierlich. Das Christkindchen lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände, der alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der kleine Spitz sprang hin und her und bellte.

Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beide den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.

Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten Platte. Den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge, Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann verließen beide das Haus so leise, wie sie es betreten hatten.

Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am andern Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an dem Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold- und Silberflimmer hängen sah, da wusste er Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder. Das war eine Freude in dem kleinen Haus wie an keinem Weihnachtstag. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug, nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur alle nach dem Lichterbaum. Sie fassten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wussten, und selbst das Kleinste, das noch auf dem Arm getragen wurde, krähte, was es krähen konnte.

Als es hellichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran.

Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorf Haus bei Haus ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und Lachen der Kinder.

Von da aus ist der Weihnachtsbaum über ganz Deutschland gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.
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